Bekannt aus
netmoms-logo
focus-online-logo
burdaforward-logo
3 | Kontinent der Bedürfnisse

3.1 Bindungsbedürfnis

Lesezeit: ca. 11 Minuten
Überblick
„Mama und Papa, ich brauche euch“

Die Bindung zwischen Eltern und Kind gleicht einem Fingerabdruck auf emotionaler Ebene: Die ersten Bindungserfahrungen, die Kinder mit ihren Eltern machen werden, sprechen ihre ganz eigene Sprache. Die Grundrezepte einer starken Bindung sind Geborgenheit, Nähe, Sicherheit, Zuverlässigkeit und Zuneigung. Dabei ist es egal, in welchem Alter sich ein Kind befindet, ob Säugling, Kleinkind oder Jugendalter – Bindungen aufzubauen, sie zu erhalten, diese mit Gefühl und Emotion zu durchleben, ist charakteristisch für Menschen und begleitet uns ein Leben lang.

Geborgenheit und Liebe, Zuneigung und Nähe sind die Architekten einer stabilen und selbstsicheren Persönlichkeit.

Eltern, die ihrem Kind zeigen, dass aufstrebende Unruhegefühle regulierbar sind, und bei Trost Nähe spenden, zeigen dem Kind ein erstes feinfühliges Handeln, auf dem die Bindung zwischen Eltern und Kind aufbaut. Anders als über-behütende Eltern, die ihre Kinder mit Übervorsicht und dramatischen Gefühlsausbrüchen begleiten, greifen feinfühlige Eltern erst dann ein, wenn Kinder auch entsprechende Signale senden. Worauf es dabei ankommt, zeigen wir im Land: 3.6 Bindung und Feingefühl. Hier, in diesem Land, gehen wir auf die Bedeutsamkeit der Bindung als Grundbedürfnis für Kinder ein. So wird eine sichere Bindung sowie die Gewissheit, dass die Eltern stets für einen da sind, als Ausgangslage für eine gesunde emotionale und soziale Entwicklung angesehen. Eltern werden hier als ein sicherer Hafen betrachtet, der einen bei stürmischer See einfängt und schützt, bei ruhigem Wetter seine Runden im Wasser drehen lässt. Bindung beschreibt somit den Prozess, bei dem Eltern und Kind sich zueinander bewegen, sich ineinander verlieben und miteinander leben – ein ausgesprochen sensibles, dennoch äußerst starkes Geflecht. Die Bindungsqualität zwischen Eltern und Kind stützt sich auf viele Faktoren, unter anderem spielt der Umfang der mit dem Kind verbrachten Zeit eine entscheidende Rolle. Diejenigen die sich intensiv mit dem Kind auseinandersetzen, hinhören, und sich mit Sorge um das körperliche Wohlergehen kümmern, gehen meist die stärkste Bindung zum Kind ein (auf welche das Kind bei Angst oder Unsicherheit als erstes zurückgreift). Dabei können Kinder durchaus mehrere Bindungen zu unterschiedlichen Personen eingehen. Ob Großeltern oder Geschwister, Bindungen leben davon, dass man sich beieinander wohl und geborgen fühlt. Obwohl Kinder zu mehreren Personen eine Bindung aufbauen können, kann sich die Bindungstiefe hinsichtlich ihrer Art unterscheiden. In den meisten Fällen gibt es für das Kind eine Hauptbezugsperson, die Mutter. Dies hat ganz natürliche Gründe, die auch in der Intensität der Schwangerschaft und Geburt sowie der Vertrautheit beim Stillen liegen.

Aus Urvertrauen entsteht Selbstvertrauen.

Anfänglich ist der Säugling in vollem Umfang von seinen Eltern abhängig und auf ihre Nähe und ihren Schutz angewiesen. Doch auch mit zunehmendem Alter (auch zu Beginn des Krabbelalters) wird die Bindung zu den Eltern als Voraussetzung für weitere Lebenswege angesehen, beispielsweise dann, wenn Kinder beginnen, ihre Umwelt zu erforschen und gleichzeitig Sicherheit suchen. Das Vertrauen, das Kinder innerhalb der Familie hieraus gewinnen, prägt sie. Denn die Antworten, die sie auf ihren Wunsch nach Nähe erhalten, aber auch die Reaktionen auf ihre Sorgen, Tränen und Ängste, werden ein Teil ihrer sozialen und emotionalen Entwicklung sein. In der Familie lernen sie den Ort kennen, an dem sie gepflegt, gestillt und gebadet werden – ein Ort, an dem gespielt und gekuschelt wird, wo man miteinander lebt. Für Kinder ist dies eine ganzheitliche Erfahrung. Aus der engen Beziehung zwischen Eltern und Kind entwickeln Säuglinge ein natürliches Vertrauen zu den Menschen in ihrer Umwelt. Aus diesem Vertrauen ziehen sie nicht nur die Gewissheit, dass man sich auf Mama und Papa verlassen kann, sondern darauf aufbauend formt sich auch ein Teil ihres Selbstbewusstseins und das Vertrauen in sich selbst.

Bindungserfahrungen

Je nachdem, wie sicher gebunden sich ein Kind fühlt, zeigt es unterschiedliche Reaktionen in unsicheren Augenblicken, beispielsweise wenn Kinder sich unwohl fühlen oder Angst haben. Sind Kinder ängstlich oder unsicher, greifen Sie auf die Bindung zu ihren Eltern zurück. Dort angekommen suchen sie nach Sicherheit, nach einem klaren Ausdruck von Zuneigung, um sich ihrer Behütetheit sicher zu sein. Ein Thema, das in Gänze im Land: 3.7 Bindung und Neugierde besprochen wird. Die Frage die sich hier stellt, ist ganz allgemein:

Die Bindungsentwicklung ist ein lebenslanger Prozess, doch die ersten tiefgreifenden Erfahrungen werden im Elternhaus angeleitet. So werden die ersten Lebensjahre auch als die Zeit angesehen, in der sich die ersten Strukturen im Gehirn herausbilden, die auch als Basis für die Bewertung von Gefühlen, Wünschen und Absichten herangezogen werden – hierzu erfahren wir bereits im nächsten Land: Bindungsphasen/- Bindungsentwicklung mehr.

Auf den Punkt gebracht
Fakt aus der forschung

Studien zeigen, dass gute soziale Bindungen die kognitive Entwicklung fördern. Auch Schulerfolg und Bildung stehen in engem Zusammenhang mit den Bindungserfahrungen, die Kinder im Elternhaus machen, da die Sicherheit, die sie hieraus bilden, auch ein Maßstab dafür ist, Beziehungen zu anderen Menschen einzugehen. Weiter zeigt sich, dass sicher gebundene Kinder nicht überbehütet oder überangepasst sind, sondern selbständig. Alle weiteren Bindungen, auch im Erwachsenenalter, werden durch die positiv erlebten Bindungserfahrungen der Kindheit unterstützt.

Schauen wir uns folgendes Beispiel an, um einen ersten Einblick in die Entstehung von Bindungserfahrungen zu erlangen. Wichtig ist hierbei zu bedenken, dass sich der Wunsch nach Bindung je nach Alter und Situation unterschiedlich zeigen wird. Im Land Bindung und Neugierde gehen wir darauf ein, wie sich mit zunehmendem Alter die Bindung als Voraussetzung für Spiel, Entdeckung und Abenteuer zeigt, beide Bereiche stehen miteinander in Verbindung. In diesem Beispiel treffen wir auf den sieben Monate alten Samuel, der in einem klassischen Beispiel seine Bindungsperson sucht, um sich zu beruhigen:

PraxisBeispiel

Samuel, sieben Monate alt, hat im Schlaf hin und wieder seine ganz natürlichen Unsicherheiten. Hat er einmal angefangen zu weinen, fehlt es ihm vor allem in denersten Lebensmonaten an Strategien und Auswegen, um sich selbst zu beruhigen. Wenn er Angst hat, hungrig ist oder sich unwohl fühlt, beispielsweise nachdem er in der Nacht des Öfteren aufgewacht ist, ruft er nach seiner Mama – er weint. Das Szenario wiederholt sich über mehrere Monate, der „Ruf“ nach seinen Eltern wird für ihn die einzige Möglichkeit sein, sein Unsicherheitsgefühl mitzuteilen. Zum Glück muss Samuel nicht lange warten. Von alleine beruhigen fällt ihm ersichtlich schwer, das weiß Mama. Sie hört den „Schrei“ ihres Kindes und eilt zur Seite:

Mit einer sanften Berührung zeigt sie ihrem Sohn, dass sie anwesend ist und auf ihn Acht gibt. Nach ein paar Minuten schließt er wieder die Augen und die nächste Schlafphase wird eingeläutet. Die Erfahrung der Sicherheit, die er hieraus generiert – ist für ihn eine Schlüsselerfahrung, die einer sicheren und verlässlichen Bindung.

Sicherheits- und Unsicherheitserfahrungen sind Bausteine der ersten Kinderjahre, aus diesen werden Kinder ein sogenanntes Bindungsverhalten abbilden

Erfahrungen, insbesondere solche, die durch Angst, Traurigkeit und Ärger entstehen, besitzen eine große emotionale Tragweite für Kinder. Hieraus entfaltet sich entweder Sicherheits- oder Unsicherheitserfahrungen. Auf diese Weise entsteht für Kinder die Gewissheit, dass ihre Bezugspersonen einschreitend und warmherzig zur Hilfe kommen, wenn Emotionen heiß kochen, Kinder sich unwohl fühlen, nach Nähe suchen oder Angst haben. Nicht zu vergessen, stärkt jeder dieser Austausche die Beziehung zueinander (auch wenn sie manchmal an Eltern zerren – vor allem bei Nacht). Für Kinder ist dies eine wichtige Erkenntnis, um sich ihrer Umwelt zu öffnen, angstfrei einschlafen zu können oder aufgeschlossen gegenüber ihren Spielfreunden oder Mitmenschen zu sein.

Frühkindliche Bindungserfahrungen prägen Kinder

Jeder Mensch entwickelt eine Vorstellung davon (auch durch seine Bindungserfahrungen), ob seine Welt – vereinfacht ausgedrückt – sicher oder unsicher ist. Diese Vorstellung tragen Kinder nicht bewusst mit sich, sondern sie begleitet sie als eine Art Einfärbung ihres Verhaltens. Dabei entwickeln sich sogenannte innere Arbeitsmodelle, die ihre vergangenen Erfahrungen abspeichern und als Vorhersage dienen, um zukünftige Ereignisse einzuordnen. Sie definieren, inwieweit ein Kind Nähe und Sicherheit erwartet, aber auch wie viel Nähe und Sicherheit das Kind (später) selbst geben wird und kann. Um das zu verstehen, müssen wir uns Folgendes vor Augen führen.

Kinder haben keine Vorstellung von der Gesamtheit ihrer Umwelt. Sie erleben vieles zum ersten Mal. Dabei können wir uns vorstellen, wie jede Aktion Ihres Kindes eine Frage an seine Umwelt ist.

Die Antworten auf diese Fragen haben auch Auswirkungen auf den Optimismus und das Selbstbewusstsein, das Kinder entwickeln werden. Diese Erfahrungen stecken in uns, arbeiten für uns, sie leiten unser Denken an und sind tiefe Strukturen der Persönlichkeit. Die Bindungsforschung zeigt uns, dass wiederholend erlebte Erfahrungen zwischen Eltern und Kind zu Erwartungen führen. Erfährt ein Kind beispielsweise, dass seine Mutter immer dann, wenn es Hunger hat, sein Bedürfnis nach Nahrung stillt, wird es diese Erfahrung als grundsätzliche Regel ansehen und auch in Zukunft von Mama die Bedürfnisbefriedigung erwarten (können) – eine positive Schlüsselerfahrung.

In der Phase der ersten Lebensjahre sind diese Erfahrungen noch flexibel, werden jedoch im weiteren Entwicklungsverlauf zunehmend stabiler.

schema

In folgender Abbildung sehen Sie den „Wirkungsgrad“ emotionaler Verfügbarkeit und Feinfühligkeit. Dabei zeigt sich, dass frühe Erfahrungen im Kleinkindalter auch im Hinblick auf die Gehirnentwicklung eine übergeordnete Rolle spielen.

Bindung-ERFAHRUNG-400x195

Stellen Sie sich das Ganze wie folgt vor:

Ein Kind, das die Erfahrung macht, durch sein Handeln (Ausdruck von Bedürfnissen, wie beispielsweise Hunger oder Angst) etwas in seinen Eltern bewirken zu können und zwar dadurch, dass es gehört wird, entwickelt ein Gefühl von Selbstwirksamkeit und Sicherheit. Doch auch negative Erfahrungen, wie dauerhafte Vernachlässigung oder ständige emotionale Abwesenheit der Eltern können in Kindern zu Erwartungen an ihre Eltern führen. Diese fallen dann als unsicher oder unvorhersehbar aus. Zeigt ein Elternteil immer wieder ein unvorhersehbares Verhalten auf das Nähebedürfnis eines Kindes, entstehen daraus auch Erwartungen:

Je nachdem welche Erfahrung Kindern dann zugrunde liegt, entfalten sich ihre Emotionen und ihr Verhalten durchaus unterschiedlich, auch in für Kinder empfundene bedrohliche Situationen. Kinder, die ein sicheres Arbeitsmodell besitzen, empfinden meist weniger Bedrohung, haben ein positiv-realistischeres Selbstbild und entwickeln dadurch meist ein hohes Selbstwertgefühl und großes Selbstvertrauen – allein dadurch, dass sie sich in einer sicheren Bindung wiederfinden. Das nennt sich dann Vertrauen in die Verfügbarkeit der Eltern zu haben – eine Schlüsselerfahrung.
Prof-Dr-Dr-hartmut-kasten
Expertentipp
Prof. Dr. Dr. Hartmut Kasten

Entwicklungspsychologe, Frühpädagoge und Familienforscher

Kinder kommen auf die Welt mit einer ganzen Reihe von Kompetenzen: Beispielsweise haben sie eine angeborene Bindungsbereitschaft. Diese Bereitschaft zeigt sich bereits in den ersten Lebensmonaten nach der Geburt.

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Dr. Hartmut Kasten, Entwicklungspsychologe, Frühpädagoge und Familienforscher

Sind die ersten Lebensmonate entscheidend für die Bindungsqualität zwischen Eltern und Kind?
Man muss stets relativieren. In der Psychologie unterliegt nichts dem „Alles oder nichts“-Prinzip.
Wenn Kinder im ersten Lebenshalbjahr nicht die feinfühligen Antworten auf ihre angeborene Bindungsbereitschaft erhalten, wenn sie beispielsweise Hautkontakt wünschen, hungrig oder müde sind,  wirkt sich dies auf die Bindungsqualität aus.  Dies zeigt sich dann z. B. dadurch, dass Kinder sich ständig in einer Art Erregungszustand befinden. Werden sie dann nicht beruhigt, hingelegt oder gestillt, entsteht in häufiger Regelmäßigkeit eine sogenannte „unsichere Bindung“.

Welche Konsequenzen hat eine „unsichere Bindung“?
Hervorzuheben sind hier zwei Resultate. Zum einen sind unsicher gebundene Kinder schneller bereit in Stress zu geraten, der Cortisolspiegel steigt an und sie haben Schwierigkeiten sich von einem Stresszustand zu lösen. Diese Kinder befinden sich schneller und länger in Stressmomenten (overarousal). Während ein anderes Kind sozusagen kinderleicht aus einer solchen Stresssituation zur Beruhigung findet, fällt es dem unsicher gebundenen Kind weitaus schwerer seiner körperlichen Unruhe zu entfliehen. Der zweite Bereich findet sich in der Neugier wieder, der spontanen Bereitschaft sich Neuartigem oder überraschenden Ereignissen reflexartig zuzuwenden (Orientierungsreflex).

Wenn Erfahrungen sprechen könnten

Die Forschung zeigt, dass frühe Erfahrungen sich im Gehirn repräsentieren, was bedeutet, dass das, was von Kindern erlebt wurde (wenn auch unbewusst), als Erfahrung abgespeichert wird.
Eine sich wiederholende Erfahrung wäre beispielsweise: Wenn ich verunsichert bin, bekomme ich Sicherheit bei meinen Eltern. Würde die Erfahrung, die man in den ersten Lebensjahren im Bezug auf seinen Bindungswunsch erfährt, sprechen können, würde sie womöglich Folgendes sagen:

Die Bindungstheorie beschreibt somit ein unsichtbares Band zwischen Eltern und Kind. Auf diesem Band stehen die Schriftzüge ihrer Bindung zueinander. Dies hat gute Gründe, denn das Nähebedürfnis der Kinder hat ein klare Aussage:

Eine liebevolle Familienlandschaft spiegelt sich also auch in Kindern, beflügelt ihre Ansichten und räumt Steine, die einmal im Weg liegen, beiseite. Wir werden in den folgenden 4kids-Ländern noch einmal dieses Thema aufgreifen, um zu verstehen, weshalb Kinder so stark von ihren Bindungserfahrungen begleitet werden. Deshalb ist es von großer Bedeutung sich auch selbst zu hinterfragen:

Fakt aus der forschung

Kinder, die sich in sicheren und feinfühligen Beziehungen zu ihren Eltern befinden, empfinden in belastenden Situationen weniger Bedrohung. Sie entwickeln ein positives und klares Selbstkonzept, haben ein stärkeres Selbstwertgefühl und Vertrauen in sich selbst. Interessant ist der Fakt, dass Kinder, die sich zurückgewiesen fühlen und deren Nähewunsch nicht erfüllt wird, Misstrauen und Angst entwickeln sowie die Sorge, sich auf andere Menschen verlassen zu müssen.

Vergessen Sie nicht, dass Erziehung sich nicht an einem Tag schreibt, auch nicht die Bindung zwischen Ihnen und Ihrem Kind. Das heißt, dass es Tage gibt, an welchen es durchaus passieren kann, dass sie weniger offen für Austausch sind, erschöpft oder müde sind. Keine Sorge, das macht keine schlechten Eltern aus – denn nur wer über längeren Zeitraum sein Kind vernachlässigt (was 4kids Eltern nicht tun), geht Gefahr, seinem Kind einen Stein in den Weg zu legen.

Prof-Dr-Dr-hartmut-kasten
Expertentipp
Prof. Dr. Dr. Hartmut Kasten

Entwicklungspsychologe, Frühpädagoge und Familienforscher

Die Anzahl der sicher gebundenen Kinder nimmt ab, worauf ist diese Entwicklung Ihrer Meinung nach zurückzuführen?
Die meisten Eltern haben nicht mehr die Zeit, die es bräuchte, um intensiv mit ihrem Kind in Austausch zu treten. Wir befinden uns in einer sehr schnelllebigen Zeit, in der auch Eltern vor vielen Herausforderungen stehen. In der Partnerschaft, aber auch in der Lebensqualität steht eine Familie ständig vor neuen Aufgaben, die womöglich die Verfügbarkeit etwas einschränken.

Welche Voraussagen lassen sich hieraus ableiten?
Kinder entwickeln ungefähr ab dem 18. Lebensmonat ein Verständnis für ihr eigenes „Ich“.
Kinder folgen dann ihrem sogenannten „Inneren Arbeitsmodell“, welches in den letzten Jahren oft thematisiert wurde. Aus den ersten Lebenserfahrungen mit den Eltern bilden sie Vorhersagen über ihre Umwelt und Mitmenschen ab. So haben sicher gebundene Kinder dann das Gefühl, dass das, was sich an Herausforderungen vor ihnen auftut, bewältigbar ist. Sie kommen sozusagen gut durch „Krisen“ hindurch, beispielsweise dann, wenn etwas nicht so verläuft wie sie sich das vorstellen. Sie erlernen Bewältigungsstrategien, um mit kritischen Lebensereignissen umzugehen. Dafür brauchen Kinder Zeit und Zuwendung.

Sind Kinder demnach an ihre frühen Kindheitserfahrungen gebunden?
Auch unser Inneres Arbeitsmodell, welches das kindliche Handeln anleitet, gehorcht nicht dem „Alles oder nichts“-Prinzip. Kinder, die im ersten und zweiten Lebensjahr keine guten Erfahrungen in Bezug auf ihren Bindungswunsch erleben, haben die Möglichkeit in den darauffolgenden Lebensjahren durchaus in positiven Bindungserfahrungen ihre Ansichten neu festzulegen. Bei dramatischen Erlebnissen kann auch durch kindertherapeutische Hilfe dafür Sorge getragen werden, dass Kinder sich aus einer unsicheren Bindung positiv weiterentwickeln.

Fazit

Die Erlebnisse in früher Kindheit werden gespeichert, um in Zukunft zu handeln. Das muss auch so sein, denn jeder Mensch handelt nicht immer aufs „Neue“. Er nimmt seine bereits erlebten Erfahrungen und nutzt diese, um Zusammenhänge zu bilden, sodass einmal erfahrene Verhaltensmuster auch in Zukunft wieder abgerufen werden können. Deshalb ist die Art der Bindung wichtig. Sie hat Einfluss auf das spätere Verhalten innerhalb von Beziehungen und wird somit zu einem Persönlichkeitsmerkmal.

Positive Bindungserfahrungen tragen folgende Aussagen in sich:

Quellen / Literatur

Ahnert, L. (2007). Von der Mutter-Kind-zur Erzieherinnen-Kind-Bindung? In: F. Becker-Stoll & M. Textor: Die Erzieherin-KindBeziehung, Berlin: Cornelsen, S. 31-41.

Ahnert, L. (2010). Wie viel Mutter braucht das Kind? Bindung – Bildung – Betreuung: öffentlich und privat. Heidelberg:
Spektrum.

Ainsworth, M. D. (1977). Feinfühligkeit versus Unempfindlichkeit gegenüber den Signalen des Babys. Skalen zur Erfassung
mütterlichen Verhaltens von Mary D.S. Ainsworth, 98 -107. (K. E. Grossmann, Hrsg.) München: Kindler Verlag.

Becker-Stoll, F. (2017). Zeit für Bindung in Familie und Kita. In: Gesine Götting, Carsten Bromann, Matthias Möller, Markus
Piorunek, Michael Schattanik, Anja Werner (Hrsg.) Zeit geben – Bindung stärken. Konzepte der Beratung. Beltz Juventa, 1.
Auflage 2017, S. 12 – 26.

Becker-Stoll, F., Niesel, R. & Wertfein, M. (2015). Handbuch Kinderkrippe. So gelingt Qualität in der Tagesbetreuung. Freiburg im
Breisgau: Herder.

Bowlby, J. (1987/2003) Bindung. In: K.E. Grossmann & K. Grossmann (2003). Bindung und menschliche Entwicklung. John

Bowlby, Mary Ainsworth und die Grundlagen der Bindungstheorie. Stuttgart: Klett-Cotta, S.22-28.

Bowlby, J.(1987/2003) Bindung. In K.Grossmann & K.E. Grossmann (Hrsg.). Bindung und menschliche Entwicklung (S. 22–28),
Stuttgart: Klett-Cotta.

Braun, K. & Helmke, C. (2008). Neurobiologie des Bindungsverhaltens: Befunde aus der tierexperimentellen Forschung. In: L.
Ahnert, Frühe Bindung. München: Reinhart Verlag. S. 281-296.

Cooper, G., Hoffmann K., Marvin, R. & Powell, B. (2000). The Circle of Security project: Attachment-based intervention with
caregiver–pre-school child dyads Attachment & Human Development, Vol 4 No 1, 2002, 107–124.

Fremmer-Bombik, E. & Grossmann, K. E. (1991): Frühe Formen empathischen Verhaltens. In: Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und pädagogische Psychologie (1991), 23, 299-317.

Fremmer-Bombik, E. (2002): Innere Arbeitsmodelle von Bindung. In: Spangler & Zimmermann (2002), 109-119.

Fremmer-Bombik, E. & Grossmann, K. E. (1993): Über die lebenslange Bedeutung früher Bindungserfahrungen. In: Petzold (1993), 83-110.

Göppel, R. (1997): Ursprünge der seelischen Gesundheit. Risiko- und Schutzfaktoren in der kindlichen Entwicklung. Würzburg.

Scheuerer-Englisch, H. (1999): Bindungsdynamik im Familiensystem und familientherapeutische Praxis. In: Suess & Pfeifer (1999), 141-164.

Schneewind, K. A. ( 1992): Persönlichkeitstheorien I. Alltagspsychologie und mechanistische Ansätze. Darmstadt. Schneewind, K. A.  (1992): Persönlichkeitstheorien II. Organismische und dialektische Ansätze. Darmstadt.

Gloger-Tippelt, G. (2000): Familienbeziehungen und Bindungstheorie. In: Schneewind (2000), 49-63.

Suess , Gerhard (2001): Eltern-Kind-Bindung und kommunikative Kompetenzen kleiner Kinder - Die Bindungstheorie als Grundlage für ein integratives Interventionskonzept. In: Schlippe/ Lösche/ Hawellek (Hrsg.): Frühkindliche Lebenswelten und Erziehungsberatung - Die Chancen des Anfangs. Münster: Votum-Verlag, 39-61.

Sunderland, M. (2010/17). Die neue Elternschule. München: Dorling Kindersley.

Prof-Dr-Dr-hartmut-kasten
Prof. Dr. Dr. Hartmut Kasten
Entwicklungspsychologe,
Frühpädagoge und
Familenforscher