„Mit einer Kindheit voll Liebe aber kann man ein halbes Leben hindurch für die kalte Welt aushalten.“
Jean Paul
Jedes Kind strebt von Natur aus nach einer gelungenen Beziehung, aus der heraus die Grundbausteine für ein Gefühl nach Geborgenheit, emotionaler Feinfühligkeit, Sicherheit und körperlichem Wohlbefinden sowie der daraus entstehenden Beziehung zueinander erwachsen. Findet ein Kind diese Beziehung, haben wir die Weichen für eine Zukunft gestellt, in der das Kind zu Autonomie, Individualität und einer starken Persönlichkeit gelangt.
Erziehung und Beziehung in Harmonie
Erziehung ist ein Begriff, dem jeder für sich selbstständig und individuell Leben einhauchen darf. Von Familie zu Familie kann und darf sich dies in einigen Bereichen unterscheiden. So kann sich Erziehung an unterschiedlichen Prioritäten orientieren, beobachten und unterstützend lenken und helfen. Denn ohne eine Bindung zueinander wird jeder Versuch, gemeinsam zu wachsen unfruchtbar – die Beziehung zueinander, die Liebe, die dabei von Beginn an wächst, ist der Dünger für kindliche Lernprozesse. Zwischen Erziehung und Beziehung muss es keine Differenzen geben. Genau deshalb war es uns wichtig, dass Sie in den ersten Ländern gemeinsam mit uns die ersten Bleistiftstriche um das Wort Erziehung ziehen, damit wir am Ende unserer Reise durch die 4kids-Welt auf ein schönes, von Ihnen mitgestaltetes Gemälde blicken dürfen.
Die Urquelle des Lebens
Beziehungen sind die Urquelle des Lebens. Überall dort, wo Menschen miteinander interagieren, sei es kooperativ oder kontraproduktiv, entsteht eine Beziehung. Nicht immer sind alle Beziehungen zueinander förderlich gestaltet. Auch Beziehungen, die sich nicht bereichern, finden ihren Weg in die Gemeinschaften. Darum werden wir der Frage auf den Grund gehen, warum gute Beziehungen förderliche Zufriedenheitsgaranten sind und welche Erfahrungen Ihr Kind aus diesen ziehen wird. Denn die Antwort, die eine Beziehung auf die Frage „Was macht das Leben lebenswert?“ gibt, wird zur Schlüsselfrage für viele weitere Entwicklungsschritte Ihres Kindes.
Fakt aus der Forschung
Ein beachtliches Ergebnis wurde in einer immer noch andauernden und bereits über 75 Jahre lang anhaltenden Studie, der sogenannten „Harvard Grant and Glueck“-Studie, gefunden:
Das Geheimnis der Zufriedenheit liegt zu großen Teilen in den Beziehungen, die wir mit anderen Menschen eingehen:
- In die Menschen, die wir lieben,
- In die Menschen, die uns lieben.
Über 75 Jahre lang analysierten Wissenschaftler über mehrere Generationen hinweg das psychische und emotionale Wohlbefinden von insgesamt 742 Personen. Robert Waldinger, der Studienleiter, meint hierzu:
„Gute Beziehungen machen glücklicher und gesünder. Dabei ist weder die Anzahl an Freunden ausschlaggebend noch, ob man eine partnerschaftliche Beziehung führt. Entscheidend ist die Qualität der nahestehenden Verbindungen.“
Das Band der Beziehung
Beziehungen leben davon, dass das Band, das uns verbindet, wie fest wir auch daran ziehen mögen, nicht reißt. Kinder, die erfahren, dass trotz Herausforderungen das „Band der Beziehung“ niemals abreißt, dürfen sich glückliche Kinder nennen. Innerhalb einer Beziehung gibt es unterschiedliche Dimensionen. Natürlich sollte eine Beziehung immer eine gewisse Tiefe besitzen und sich nicht in der Oberfläche abspielen.
Das heißt, Beziehungen:
- Leben vom gegenseitigen Interesse,
- Wollen einander bereichern,
- Sind Rückhalt und Zufluchtsort für Kinder,
- Geben Halt und Sicherheit,
- Bieten Lösungen für Schwierigkeiten an,
- Lernen, Fehler einzugestehen und können verzeihen.
Aufgrund dessen schaffen wir nun eine klare Sicht auf die immense Bedeutung gelungener Beziehungen, deren Besonderheit sich nicht nur in der Eltern-Kind-Beziehung wiederfindet, sondern auch in menschlichen Beziehungen im Allgemeinen. Die Besonderheit an der Eltern-Kind-Beziehung besteht darin, dass Ihr Kind in seinen verschiedenen Altersstufen unterschiedliche Beziehungserfahrungen durchlebt. Ihr Kind gestaltet vom ersten Tag an diese Beziehungserfahrungen mit Ihnen gemeinsam. Wir wollen Ihnen eine kleine Einleitung hierfür geben:
Liebe und Zuwendung
Liebe in der Familie ist grundlegend, da sie uns Menschen eine Identität vermittelt. Diese wird am besten mit Wörtern wie einzigartig, wertvoll und begehrenswert beschrieben. Identität entsteht also aus der Erfahrung, wie wir Liebe erhalten haben. Bedeutsam zu sein und Einzigartigkeit reflektiert zu bekommen ist für die Entwicklung eines stabilen Ichs notwendig.
„Du bist mein geliebtes Kind und ich heiße dich willkommen in deinem So-Sein, in deiner Einmaligkeit.“
Erst durch die Zuwendung einer Bindungsperson lernt das Kind die Grenzen von Ich und Du und erst so gelingt die Hinwendung zu sich selbst. Die Rückmeldungen der Beziehungspersonen wie gut, richtig, in Ordnung es ist, prägen das Selbstbild. Wird die Anerkennung jedoch primär an Leistung, Aussehen, vorgegebene Verhaltensweisen und bestimmte Werte geknüpft und gelingt es dem Kind nicht, diesem gerecht zu werden, so kann dies Gefühle der Minderwertigkeit hinterlassen. Es bleiben innere negative Bilder und Bewertungen über sich selbst:
- „Ich fühle mich ungeliebt.“
- „Ich hatte immer das Gefühl, für andere eine Last zu sein.“
- „Meinem Bruder konnte ich nicht das Wasser reichen.“
- „Ich reiche nicht.“
Die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit erfordert die Anerkennung durch die Eltern, benötigt die Annahme sowohl in der Identifikation als auch in der Abgrenzung und Unterscheidung von der Bezugsperson. In der Interaktion mit den Eltern (Freunden, Geschwister, etc.) wird das eigene Ich entdeckt und zunehmend ein Selbstkonzept entwickelt.
Sicherheit und Vertrauen
Neben der Zuwendung ist das Erleben von Sicherheit ein zweites zentrales Merkmal für die Entwicklung des Bindungs- und Beziehungsverhaltens. Bindungssicherheit zu erfahren, im Sinne von Vertrauen auf die Verfügbarkeit einer Bindungsperson, ist bedeutsam für die gesunde Entwicklung des Säuglings, des Kleinkindes, des heranwachsenden Kindes, des Jugendlichen. Sicherheit wird durch die Präsenz einer Bindungsperson erlebt, durch Voraussicht und Verlässlichkeit, diese auch zu erreichen und von ihr beschützt zu werden. Vor allem aber braucht das Kind die Unterstützung, mit neuen, ungewohnten Situationen und dadurch ausgelösten Gefühlen umzugehen. Erfährt das Kind, dass die Bindungsperson schnell kommt, wenn es z. B. bei einem Gewitter wach geworden ist, und gelingt es der Beziehungsperson, das Kind in dieser Schrecksituation in seinem Erleben wahrzunehmen:
- „Hui, jetzt hast du dich aber erschreckt, so ein lautes Geräusch, so ein lauter Donner“, und es zu beruhigen:
- „Ich bin da, hier kann dir nichts passieren, gleich ist es vorbei – guck mal, vielleicht ist es ja auch ganz spannend, was da geschieht“, dann kann es wieder beruhigt einschlafen. Es kann sich dann vergewissern, dass es nicht allein ist und es hat erfahren, dass sein Schreck verständlich, aber auch handhabbar ist.
- „Du bist mein geliebtes Kind und ich heiße dich willkommen in deinem So-Sein, in deiner Einmaligkeit.“
Beziehungsgefüge: Jedes Kind reagiert auf seine Umwelt, während die Bezugspersonen auf die Signale des Kindes reagieren. Somit beeinflussen sich Kind, Bezugsperson und Umwelt in ständiger Wiederkehr.
Beziehungserfahrungen mit Säuglingen
Eine innige Beziehung in den ersten Lebensmonaten entsteht hauptsächlich durch:
- Körpersprache,
- Elterliche Reaktionen auf „Lallgeräusche“ / elterliche Kommunikation zu dem Baby,
- Berührungen, Zärtlichkeiten,
- Reaktion auf Mimik und Gesichtsausdrücke,
- Nachahmungsspiele wie Zunge rausstrecken, Augen „aufreißen“ oder Stimme/Wortgeräusche imitieren.
Dabei sind die Antworten, die Eltern auf dies „Äußerungen“ Ihres Kindes geben, von großem Interesse für die kindliche Welt. Denn jedem erfüllten „Ruf“, jedem geholfenen „Schrei“ wohnt für das Baby eine Erfahrung bei. Könnte diese Erfahrung sprechen, würde sie vermutlich Folgendes mitteilen: „Wenn ich mich nicht wohlfühle oder Angst habe und rufe, kommt jemand. Das schenkt mir Vertrauen und Sicherheit.“
Zwei Schlüsselerfahrungen werden hier gesammelt:
1. Ich rufe und meine Eltern stehen mir zur Seite – Selbstwirksamkeitserfahrung
2. Ich kann mich auf meine Eltern verlassen – positive Beziehungserfahrung/Bindungserfahrung.
Die kindlichen Sinne sind ganz und gar darauf ausgelegt zu erkennen, wer sich um sie kümmert, und sie wählen schon in den ersten Monaten ihre Bezugspersonen, wobei der Mutter ein natürlicher „Vorrang“ eingeräumt wird. Die Beziehung zu ihr wird durch die Stillzeit unterstützt, den Geruch. Sogar die mütterliche Stimme ist nach der Geburt schon bekannt, wie Studien bestätigen.
Säuglinge und ihre Suche nach Antworten auf Beziehungsfragen
Unterschiedliche Antworten auf die kindlichen Signale beflügeln die Beziehung zu Ihrem Kind und können vom ersten Tag an die Eltern-Kind-Beziehung stärken:
- Die Kraft des Blickes. Sich einander anzuschauen und zu zeigen: „Ich bin da“, ist für Babys eine wohlverstandene Sprache. Vor allem Säuglinge mustern die Gesichter ihrer Umgebung und freuen sich über Reaktionen ihrer Eltern, schon in den ersten Lebensmonaten. Falls ein Säugling den Kopf zur Seite dreht, ist dies meist ein Zeichen dafür, dass es Ruhe sucht.
- Die Erwiderung des Lächelns ist wohl der bekannteste Ausdruck von Kommunikation in den Anfangsjahren und stärkt die Eltern-Kind-Beziehung. Im Kontinent der Babys gehen wir tiefer auf die Kommunikationswege in den ersten Monaten ein, auch auf das sogenannte Engelslächeln, das in das soziale Lächeln übergeht.
- Ein weiterer liebevoller und fühlbar schöner Weg, die Beziehung zu stärken, ist der Hautkontakt (wird nachfolgend erklärt)
- Die Unfähigkeit, in den ersten Monaten Gegenstände in seiner Umgebung unmittelbar in die Hand zu nehmen, lösen Eltern dadurch, dass sie beispielsweise ihrem Baby die Dinge reichen, nach denen es sich streckt. Dabei zeigen Eltern: „Wir sehen dich, wir gehen auf dich ein“ – eine Schlüsselerfahrung in Babyjahren.
Solche Interaktionserfahrungen haben für Kinder eine ganz klare Aussage: „Ihr seht mich, ich kann etwas, ich bin jemand.“
Hautkontakt und seine Bedeutung für innige Beziehungen
Die Haut eines Säuglings reagiert stark auf die Reize seiner Umwelt. Von Geburt an haben sie ein Bedürfnis nach Nähe und Zärtlichkeit, nach Bindung und Beziehung. Körperkontakt ist in dieser Zeit ein Beruhigungs- und Beziehungswunder. Die Bedeutung von emotionalen Erfahrungen durch Berührungen wurde mehrfach bestätigt und es wurde die Wirkung von Hautkontakt vor allem in Bezug auf seinen beruhigenden Effekt untersucht. Zwischenmenschliche, enge Beziehungen beeinflussen unser Fühlen und Handeln und wie wir die Gemeinschaften erleben. Dabei sind Berührungen, vor allem bei Neugeborenen, ein Wundermittel zur Entspannung und der ersten Erfahrungen in der Stressreduktion. Auch in späteren Lebensjahren werden Sie durch die Berührung die Nähe zu Ihrem Kind immer wieder bestätigen.
- Berührungen beruhigen Säuglinge und junge Kinder.
- Der Ausstoß von Oxytocin, einem (sogennanten) Bindungshormon, wird dabei unterstützt und angeregt.
Praxisbeispiel
Selina, gerade einmal drei Monate alt, klammert sich an Mamas Finger. Nach einer etwas längeren Schreiattacke fanden sie gemeinsam die Lösung für Selinas Unruhe. Als Selinas Mutter mit ihr auf dem Arm das helle Wohnzimmer verließ und in ihr abgedunkeltes Kinderzimmer ging, wurde Selina von Sekunde zu Sekunde ruhiger. Ihre Art, sich auszudrücken, ist bei inneren Unstimmigkeiten der Schrei und in diesem Fall wollte sie mitteilen:
„Mir ist zu hell. Ich habe genug von den vielen Eindrücken des Tages. Ich brauch etwas Ruhe, etwas weniger Licht und Anreize.“
Sie setzten sich gemeinsam in ihr Zimmer, ließen den Rollladen noch etwas herunter und Selina schien zufrieden. Ihr Blick war länger als sonst bei Mama. Es schien ihr zu gefallen, wie auf sie reagiert wurde. Eine Beziehungserfahrung/Bindungserfahrung wurde erlebt – Mamas Finger wird immer fester umschlungen (welche tiefe solche Bindungserfahrungen für Kinder besitzen, erfahren wir im Kontinent der Bedürfnisse)
- Zeit miteinander verbringen
- Bedürfnisse befriedigen
- Geborgenheit und Nähe schenken
Selbstsicherheit
Das Erleben von Liebe und Vertrauenswürdigkeit stellt grundlegende Erfahrungswerte im Leben eines jeden Kindes dar. Fehlt es an einer engen Beziehung und Bindung, zeigt sich dies häufig in auffälligen Verhaltensweisen, auch dann, wenn Kinder nach Aufmerksamkeit suchen. Finden sie keine Aufmerksamkeit, führt dies häufig dazu, dass sie mit aller Macht versuchen werden, auf sich aufmerksam zu machen. Dennoch streben Kinder nicht nur nach irgendwelchen Beziehungen – vielmehr zeichnet sich eine wertvolle Beziehung durch ihre Qualität aus. Die Verbindungen, die uns Liebe und Vertrauen, Zugehörigkeit und Sicherheit schenken, die zu grundlegenden Stärken jeder Beziehung werden, sind die Erfahrungen, die wir suchen.
Fakt aus der forschung
Gute Beziehungen stellen einen Schlüssel für ein gelungenes Leben und Zufriedenheit dar. Doch nicht nur das, so wurde in einer Studie herausgefunden, dass sie auch die Lebenserwartung steigern, sich auf Immun- und das Herz-Kreislauf-System auswirken sowie den Hormonhaushalt positiv beeinflussen. Zu diesem Ergebnis kam eine Auswertung von über 150 Studien mit insgesamt 30.000 Teilnehmern.
Quelle: Holt-Lunstad, Julianne; Smith, Timothy B.; Baker, Mark; Harris, Tyler; and Stephenson, David, „Loneliness and Social Isolation as Risk Factors for Mortality: A Meta-Analytic Review“ (2015). All Faculty Publications. 1996. https://scholarsarchive.byu.edu/facpub/1996
Beziehungserfahrungen formen Gehirn und Zukunft
Warum dem so ist, liegt an der Funktionsweise unseres Gehirns und der Suche nach Erfahrungen in seiner Umwelt. Nehmen wir an, ein Kind wächst im Heim auf und hat dort keine Bezugsperson, keine Vertrauensperson und kann zu niemandem eine wirklich enge Beziehung eingehen. Nicht nur wird dann ein zärtlicher Austausch vermisst, es mangelt diesem Kind auch an einem Vorbild. Denn das Lernen am Vorbild ist ein nicht zu vernachlässigender Teil in der Entwicklung eines Kindes. Aus diesem Weg zu lernen, sprich durch Nachahmung und Imitation, generieren Kinder ihre Vorstellungen des Miteinanders. Erleben Kinder keine positiven Beziehungserfahrungen, zeigt sich dies in ihrem Verhalten. Ein solches Kind wird mit größerer Wahrscheinlichkeit eine Methode entwickeln, die darauf ausgelegt ist, außerhalb von Beziehungen seine Stärke zu finden, und meist auch außerhalb der Erfahrung, dass dort draußen alles „sicher“ und „zuversichtlich“ erscheint. Denn die Beziehungserfahrungen geben uns nicht nur ein wohliges Gefühl, sondern auch die Antworten, die wir auf unsere Beziehungswünsche in Kinderjahren erlebten. Diese werden zu Denkweisen und als Handlungsweisen genutzt, um unsere Umwelt vorherzusagen:
- Ist jemand für mich da?
- Vertraue ich den Menschen um mich herum?
- Glaube ich daran, dass mich jemand unterstützt?
- Wie äußere ich meine Unsicherheiten?
Je positiver diese Fragen in Ihrem Familienleben beantwortet werden und je feinfühliger Ihr Kind diese Beziehungserfahrungen erleben darf, desto stärker werden die ersten Beziehungserfahrungen ihren Weg gehen. Wir werden im Kontinent der Bedürfnisse in die Erkenntnisse der Bindungsforschung eintreten und spannende Ideen kennenlernen, die an dieses Thema anknüpfen.
Kleinkinder in Beziehungen – die Welt wird vielfältiger
Eltern werden es bemerken, wenn sich die Tage ihres Kindes in mehr Selbstständigkeit umwandeln und zur eigenen Entdeckungstour aufbricht. Dabei wird die Beziehung ein wichtiger Halt sein, um von dort aus Erkundungen anzustellen. Wie sich Beziehungen im Kleinkindalter auswirken, zeigt sich nämlich weitaus komplexer. Durch die weiteren kognitiven Fähigkeiten, die Kinder dazu befähigt, sich in andere hineinversetzen zu können, werden auch die Beziehungserfahrungen ausgeweitet. Der eigene Wille bricht manchmal an den Vorstellungen der Eltern. Trotz, Wut und Ärger sowie eine dadurch entstehende Belastung der Beziehung werden wir im Kontinent der Lösungen besprechen. Sie werden jedoch in den kommenden Ländern weitaus mehr darüber erfahren, was es heißt, auf eine gute Beziehung zurückgreifen zu können, genau dann, wenn Kinder bereit sind, ihre Umgebung zu erforschen. Beziehungen beeinflussen sich wechselseitig. Das bedeutet nicht nur, dass Sie Einfluss auf Ihr Kind nehmen – ihr Kind nimmt auch Einfluss auf Sie.
Wir wollen nun versuchen, die Bedeutung Ihrer Beziehung so aufzugliedern, dass Sie ein Verständnis dafür bekommen, wie sich die Eltern-Kind-Beziehung wechselseitig beeinflusst.
Praxisbeispiel
Sie und Ihr Kind (3 Jahre) haben eine Gute-Nacht-Routine. Die Routine beinhaltet, sich die Zähne zu putzen, gemeinsam eine kleine Geschichte oder ein Bilderbuch anzuschauen und ein Gute-Nacht-Liedlein zu singen. Da dies eine erfolgreiche Hilfe für Ihr Kind zu sein scheint, sich der Bettzeit wohltuend entgegenzustellen, haben Sie dieses Ritual schon eine ganze Weile. Es kam schon mal vor, dass trotz dieser Routine und ihrer beruhigenden Wirkung ihr Kind nicht einschlafen konnte oder ängstlich zu sein schien, und wieder zu ihnen hinauskam. Für Ihr Kind ist es die Gewissheit, dass es bei Ungewissheit, Unsicherheiten oder unklaren Ängsten auf seine Eltern zurückgreifen und sich auf sie verlassen kann. Ihr Kind weiß über Ihre Anwesenheit Bescheid und darüber, dass es in „Notsituationen“ zu Ihnen darf.
Das Kind lernt dadurch Erfahrungswerte kennen – zum Beispiel:
- Wie gehe ich mit meinen Gefühlen um und wie antwortet meine Umwelt darauf?
- Wie gehe ich mit meinen Ängsten um und wie antwortet meine Umwelt darauf?
Kinder durchleben diese Fragen nicht bewusst, doch unbewusst speichern Sie die „Antworten“auf diese Fragen ab und diese hinterlassen für den weiteren Entwicklungsweg entscheidende Spuren. Ihr Kind legt sich damit ein Fremd- und Selbstbild zurecht:
- Ich kann etwas bewegen in dieser Welt.
- Ich kann vorhersagen, was passiert, wenn ich aus dem Bett gehe zu meinen Eltern (angelehnt an das obengenannte Beispiel).
- Ich kann meine Gefühle/Ängste offenbaren und finde Lösungen für sie.
Solche Vorhersagen dienen dem Beziehungsaufbau und der Gewissheit, dass auf die Eltern verlass ist.
Fazit
In der Summe werden dies wesentliche Grundlagen für die Ansichten Ihres Kindes sein. Auch wenn sie für uns weitaus weniger einschneidend erscheinen, sind solche Erfahrungen für die Entwicklung eines positiven Selbstbildes ausgesprochen wertvoll. Deutlich wird dies, wenn wir die Erfahrung, die ein Kind macht, umwandeln und sie in späteren Jahren als Kleinkind oder Erwachsener versuchen zu betrachten:
- Ich kann meine Ziele/Gefühle/Ängste benennen und gemeinsam mit meinen Eltern finde ich eine Lösung für sie.
- Ich kann meine Ziele/Gefühle/Ängste benennen und finde alleine Lösungen für sie.
- Listenelement #1
- Listenelement #1
- Listenelement #1
Die Erfahrung als Kind wird somit zur Handlungsstrategie und Ansicht als Erwachsener.
Expertentipp
Birgit Heck-Schatten
Psychologische Beraterin, Heilpraktikerin für Psychotherapie
Was tun, wenn ich immer wieder die Nerven verliere und meinem Kind Schuld zuweise?
- Ich sollte mich fragen, warum ich die Nerven verliere.
- Wo liegen die Ursachen?
- Habe ich mit mir selbst Probleme, in der Familie, im Beruf usw.?
- Liegt es am Kind selbst?
- Warum ist das Kind, wie es ist?
- Vermisst das Kind etwas?
- Wo erfährt es Defizite, durch mein eigenes Verhalten?
- Kann ich dem Kind nicht das geben, was es in der jeweiligen Entwicklungsphase benötigt an Zuwendung, Geborgenheit, Sicherheit?
- Warum?
- Gibt es Triggerpunkte aus meiner eigenen Kindheit, die mein Kind in meinem Unterbewusstsein aktiviert?
Diese und viele zusätzliche Fragen lassen sich in der Regel nicht einfach beantworten. Die betroffenen Eltern müssen ein großes Maß an Ehrlichkeit und Reflexionsfähigkeit besitzen, um manches „Fehlverhalten“ aufdecken und eventuell abstellen zu können. Dies ist jedoch im besten Fall nur punktuell möglich. In der Regel muss man sich in einen therapeutischen Prozess begeben, um eigene Verhaltensmuster zu erkennen und sie zu modifizieren. Oft reicht es allerdings auch, sich in eine Erziehungsberatung zu begeben, wo man ganz konkret erfährt, wie man in bestimmten Situationen auf das Kind eingehen kann.Das Gespräch mit anderen Menschen, denen man vertraut, kann ebenfalls manchen Knoten zum Platzen zu bringen. Allerdings: Für Erziehung gibt es niemals einen allgemeingültigen Leitfaden oder gar ein Rezept.
Quellen / Literatur
Bretherton, I. (2001): Innere Arbeitsmodelle von Bindungsbeziehungen als Vorläufer von Resilienz. In: Röper et al. (2001), 169-191.
Grossmann, K. & Grossmann, K. E. (2004). Bindungen. Das Gefüge psychischer Sicherheit. Stuttgart: Klett-Cotta.
Grossmann, K. E. (2004). Theoretische und historische Perspektiven der Bindungsforschung. In L. Ahnert (Hrsg.), Frühe Bindung. Entstehung und Entwicklung (21 – 41). München: Ernst Reinhardt Verlag
Soliday, E. (2004). Parenting and Children`s Physical Health. In M. Hoghughi & N. Long (Hrsg.), Handbook of Parenting. Theory and research for practice (162 – 180). London: Sage Publications, Inc.
Rauh, Hellgard (2002): Vorgeburtliche Entwicklung und Frühe Kindheit. In: Oerter/ Montada (Hrsg.): Entwicklungspsychologie. 5. vollständig überarbeitete Auflage. Weinheim/ Basel/ Berlin: Beltz, 131-208