10.3 Gesundheitsförderung
Gesundheit heißt nicht nur, frei von körperlichen Beschwerden zu sein. Der Begriff Gesundheit ist weitaus dehnbarer und verwurzelt mit der Fähigkeit, den eigenen Körper als ganzheitliches System wahrzunehmen. Die Gesundheitsförderung ist ein wichtiges Anliegen aller Eltern für sich und ihr Kind. In den Gesundheits-Rucksack eines Kindes gehören nicht nur gesundes Essen, sondern auch die wesentlichen Widerstandsressourcen der Psyche, wie ein positives Selbstbild. Wir werden im Verlauf dieser Reise das Modell der Salutogenese durchleuchten, das uns weitaus tiefer hinter die Kulissen unserer Gesundheit blicken lässt.
Unser Immunsystem ist ein biologisches Abwehrsystem, das unseren Körper vor Krankheitserregern schützt. Dieses körpereigene Abwehrsystem hat einige Besonderheiten, und seine Funktion entwickelt sich bereits nach der Geburt. Es zeichnet sich durch seine Anpassungsfähigkeit gegenüber veränderten Krankheitserregern aus und bildet gezielte Abwehrmechanismen und Antikörper. Es ist ein faszinierender Ort, beginnend mit dem kindlichen Nestschutz.
Der Nestschutz
Die Abwehrkräfte eines Neugeborenen: Jedes Baby kommt gut behütet auf die Welt und ist den Krankheitserregern nicht völlig schutzlos ausgeliefert. In den ersten Tagen nach der Geburt sind Babys durch die mütterlichen Antikörper gegen verschiedene Keime, Viren und Bakterien geschützt. Jedoch gilt dies nur für Krankheiten, die die Mutter bereits selbst hatte oder gegen die sie selbst geimpft wurde. Es ist eine sogenannte Leihimmunität, die schon vor der Geburt ihren Anfang findet.
Aus dem mütterlichen Blut werden Antikörper (Eiweißmoleküle, die Krankheitserreger erkennen und bekämpfen) über die Nabelschnur direkt in das Blut des Babys übertragen. Wenn man will könnte man behaupten, dass das Baby sich den Immunschutz der Mutter für einige Monate ausleiht. Die erste Verteidigungslinie des Babys entsteht aus dem Zusammenspiel von der Mutter zum Kind. Je nachdem wie das Immunsystem der Mutter gerade arbeitet, verfügt das Baby über eine höhere oder niedrigere Anzahl an Antikörpern. Der Nestschutz schützt das Baby somit von Natur aus, wird jedoch nach circa 2–3 Lebensmonaten (für Masern nimmt man beispielsweise einen Nestschutz von bis zu 6 Monaten an) wieder abgebaut (die ersten Impfungen fallen dann an). Die in der Muttermilch übertragbaren Antikörper kommen auch weiterhin als Schutzmechanismen für das gestillte Baby infrage, sind jedoch kein Ersatz für Impfungen.
Das Baby wird von 4 verschiedenen Grundpfeilern geschützt:
- Nestschutz
- Stillen
- Impfungen
- Immunsystem
Angeborene Immunabwehr:
Die angeborene Immunabwehr wehrt einfallende Erreger allgemein ab, deshalb hat sie auch den Namen unspezifische Immunabwehr erhalten. Die Hauptaufgabe liegt darin, bakterielle Infektionen (Entzündungen) zu beseitigen. Zwar hat die angeborene Immunabwehr noch weitere Funktionen, doch mit zunehmendem Alter entwickelt sich das, was als erworbenes Immunsystem bekannt ist.
Erworbenes Immunsystem
Das Immunsystem ist ein faszinierender Ort, der sich letztendlich auch dadurch entwickelt und anpasst, indem es durch zunehmenden Kontakt mit Erregern sein System allmählich aufbaut und vorbereitet für zukünftige „Angriffe“. Diese Immunabwehr ist in der Lage, spezifische Strukturen von fremden Substanzen zu erkennen und eine gezielte und spezifisch auf die Eindringlinge bezogene Abwehr in Gang zu setzen. Nach einer Infektion bildet unser Immunsystem sogenannte Gedächtniszellen und Antikörper im Organismus, die bei erneutem Befall mit den bereits „abgespeicherten“ Abwehrstrategien die Erreger bekämpfen. Das Immunsystem ist gerade deswegen ein sehr anpassungsfähiger Begleiter unserer allgemeinen Gesundheit. Da viele Krankheitsverläufe tödlich enden können, ist es gerade deshalb wichtig, sich durch Impfstoffe auf verschiedene Erreger vorzubereiten. Die Funktion von Impfstoffen in Zusammenarbeit mit dem Immunsystem besprechen wir im Land: Impfungen und Allergien.
Tipp für junge Babys: Meiden Sie in den ersten beiden Lebensmonaten große Menschengruppen (vor allem zur Grippezeit). An die frische Luft gehen und Spaziergänge sollten dennoch auf dem Plan stehen haben, dies tut Säuglingen und Kleinkindern sehr gut. Wichtig ist, dass Sie dennoch keine Isolation zulassen. Babys brauchen den Kontakt mit ihrer Außenwelt – Freunde und Verwandte dürfen Ihr Babys dennoch besuchen.
Gesundheitserziehung
Gesundheitserziehung im Kindesalter bedeutet, Verantwortung zu übernehmen und bestenfalls die Gesundheit seines Kindes vorbeugend im Auge zu behalten. Dass Kinder im Laufe der ersten Lebensjahre häufiger krank werden ist dabei ganz normal. Wie bereits erwähnt, entwickelt sich das Immunsystem nach und nach und ist selbst bei erwachsenen Personen unterschiedlich ausgebildet. Die Gesundheit im Focus zu behalten heißt, Bewegungsarmut entgegenzuwirken, heißt aber auch, Reizüberflutungen zu vermeiden und Stress im Familienalltag zu reduzieren. Gesundheit bedeutet demnach nicht nur die Abwesenheit einer Grippe. Medien nehmen die Vorherrschaft des Alltagslebens ein und, während ungesunde Lebensmittel, falsche Ernährungsgewohnheiten zu Übergewicht führen, heißt Gesundheitserziehung gemeinsam für die wichtigsten Schutzfaktoren zu sorgen, die ein ganzheitliches gesundes Leben in den Mittelpunkt heben.
Doch damit nicht genug ist die Gesundheit nicht nur auf körperliche Funktionen reduzierbar. Auch psychosoziale Belastungen nehmen vermehrt die Gesundheit eines Kindes für sich ein. Verlässliche und stabile Beziehungen sind nicht nur für das Familienklima und die Entwicklung des Kindes wichtig, sondern auch essenzielle Bausteine für eine gesunde Entwicklung. Die Gesundheit des Kindes ist ein sensibles und dennoch kraftvolles Konstrukt, das sich auch widrigen Umständen entgegenstellen kann (siehe Kontinent der Kinder: Land Resilienz). So werden immer mehr Bestandteile der Psyche durch Leistungsdruck und zu hohe Erwartungen in frühen Jahren der Kindheit vereinnahmt, was sich wiederum auch auf die Gesundheit auswirkt. Deshalb sind Druck und langanhaltender Stress bereits für Kinder und Jugendliche ernst zu nehmende Sorgen. Feinfühlige Begleitung heißt auch, den psychischen Zustand seines Kindes zu begleiten und darauf sorgfältig einzugehen, denn nicht nur Erwachsene arbeiten mit psychischem Druck. Bereits Kinder können sich außerordentlich belastet fühlen (Trennungen, ständige Ermahnungen etc.)
Was bedeutet Gesundheit? Ein Erklärungsversuch:
Die WHO (Weltgesundheitsorganisation) beschreibt die menschliche Gesundheit wie folgt:
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„Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.“
Auch Kinder legen großen Wert auf ihr inneres Gleichgewicht. Fühlen Sie sich unwohl, suchen sie nach Entspannung. Gerät der Körper in ein emotionales Ungleichgewicht, schaffen sie sich durch ihr Handeln, welches manchmal zu Konflikten führt, wieder Platz. Ist der Körper unter Stress, sucht er nach Entladung. Findet er diese nicht, entlädt sich dies allzu häufig in Verhaltensauffälligkeiten. Kinder zeigen durchaus ihr Wohlbefinden, doch zu selten achten Erwachsene auch auf den psychischen Gesundheitszustand ihres Kindes. Man geht davon aus, dass Kinder doch ein sorgenfreies Leben leben müssten, ohne Stress, Verpflichtungen und Erwartungen. Doch so einfach ist es nicht. Auch Kinder können leiden, sowohl körperlich als auch psychisch.
Die Erhaltung der Gesundheit erfordert geringere Mittel als den Versuch, Gesundheit wiederherzustellen.
Faktoren für ein gesundes Leben sind vielfältig, und nicht alle Kinder kommen mit denselben Voraussetzungen auf die Welt. Genetische Veranlagung und körperliche Faktoren können die Gesundheit eines Kindes, ohne dass dies in seinen Händen läge, vereinnahmen. Dies ist die Schattenseite unserer Gesundheit; sie befindet sich auf der einen Seite nicht in Gänze in unserer Macht, doch auf der anderen Seite gibt es einen Berg voller Möglichkeiten, sich seiner Gesundheit bewusst zu sein und sein Wohlbefinden ebenso bewusst wahrzunehmen und zu sichern.
Faktoren für die Erhaltung der Gesundheit:
- Körperliche Bewegung
- Sport und Spiel
- Ausreichend Schlaf
- Vielseitige Ernährung
- Vitaminreiche Ernährung
- Spurenelementreiche Ernährung
- Eine gesunde Lebensumwelt
- Starke und innige Beziehungen zu anderen Menschen
- Enge Bindung zu den Eltern
- Freunde und Humor
- Eine sichere Umwelt
- Anspannung und Entspannung – Gleichgewicht von Stress und Regulation
- Körperbewusstsein, welches von den Eltern vermittelt werden kann
- Selbstliebe
- Vertrauen in die eigene Person
- Vertrauen in andere Personen
- Geborgenheit und Zuneigung
Die Faktoren der Gesundheit sind vielfältig und speisen sich aus der gesamten Lebenseinstellung und Lebensumwelt. Ob und wie Kinder lernen, mit Stress umzugehen, ob sie sich ermutigt oder entmutigt fühlen, welches Selbstbild sie entwickeln, all diese Bereiche spielen in das Gesamtbild Gesundheit. Über Bindung und Geborgenheit sprechen wir im Kontinent der Bedürfnisse, über Freunde im Kontinent der Kinder. Zu fast allen Bereichen (Stress, Bewegung, Vertrauen, Ernährung, Schlaf) finden Sie wichtige Hilfestellungen in der gesamten 4kids Welt.
Was will/kann Gesundheitsförderung?
Gesundheitsförderung gibt es nicht als Patentrezept. Wer die Gesundheit als ganzheitlichen Bereich des Menschen verstehen will, der muss erkennen, dass Gesundheit mehr bedeutet als die Abwesenheit einer Krankheit. Es ist generell eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe, den Fokus auf die Bereiche zu lenken, die den Menschen dabei helfen, sich gesund, munter, lebendig und gut zu fühlen
Krankheit und Gesundheit
Die moderne Medizin hat es sich zur Aufgabe gemacht herauszufinden, was den Menschen krank macht und welche Ursachen eine Krankheit verstärken. Sie hat hierbei wahrlich faszinierende Fortschritte erlangt. Doch im Gegensatz zu dem Pathogenese-Konzept (Entstehung und Entwicklung einer Krankheit) blickt das Salutogenese-Konzept (lateinisch salus ‚Gesundheit‘, ‚Wohlbefinden‘ und genese, also etwa „Gesundheitsentstehung“) in eine etwas andere Richtung. Prof. Antonovsky war der Pionier und erste Wissenschaftler, der sich mit der Frage auseinandersetzte, was den Menschen trotz widriger und schwieriger Lebensumstände gesund hält. In den 70er Jahre entwickelte er ein Gegenkonzept und lenkte den Blick auf die gesundmachenden Schutzfaktoren unserer Gesundheit.
Seine These: Jeder Mensch befindet sich zu jedem Zeitpunkt seines Lebens in einem Prozess zwischen den Polen „maximale Gesundheit“ und „maximale Krankheit“ (bis hin zum Tod).
Aus dieser These erkennen wir, dass sich unser alltäglicher Gesundheitszustand nie ganz an einem festen Punkt finden lässt. Mal fühlen wir uns besser, mal etwas erschöpft und ausgelaugt. Welche Bedingungen und Eigenschaften, welche Umstände und Lebenssituationen halten Eltern und Kind gesund?
Antonovskys berühmte Metapher:
In einer berühmten Metapher hat Antonovsky Gesundheit und Leben mit einem Fluss verglichen. Mit dieser Metapher gelang es ihm, den Perspektivenwechsel der Salutogenese bestechend lebendig vor Augen zu führen. Sein Gedanke: Die Menschen schwimmen in einem Fluss voller Gefahren, Strudeln, Biegungen und Stromschnellen. Der Arzt, so erklärt Antonovsky, könne mit seiner pathogenetisch orientierten Medizin versuchen, den Ertrinkenden aus dem Strom zu reißen. In der Salutogenese geht es aber um mehr: Es gilt, den Menschen zu einem guten Schwimmer zu machen. Was also hilft ihm, ohne ärztliche Hilfe Strudel und Stromschnellen zu meistern?
Neue Definition
Er stellte fest, dass unsere Gesundheit oft in einem Ungleichgewicht zu stehen scheint. Zwischen wenig krank und tendenziell mehr gesund oder mehr krank und weniger gesund bewegen wir uns im gesamten Leben. So könnte beispielsweise ein Kind, das gerade frei von einer Krankheit ist, sich jedoch in den letzten 3 Monaten kaum bewegt hat, durchaus weniger gesund sein als ein Kind, das seine Bewegungsfreude in den letzten Monaten ausleben konnte. Bewegung ist ein zunehmend wichtiges Feld der Familie, die, wie Studien immer wieder bestätigen, mehr und mehr Zeit in den eigenen vier Wänden verbringt und hauptsächlich Zeit vor dem Fernseher und mit digitalen Medien verbringt. Wesentlich ist also auch die Welt, in die ein Kind hineinwächst. Wie viel Bewegung finden Kinder im Elternhaus? Welche Ernährungsgewohnheiten finden Kinder vor? Wie stark gehen Eltern auf die Bedürfnisse ihres Kindes ein? Welchen Stellenwert haben Kinder in der Familie?
Um Gesundheit als ganzheitlicher Teil des Lebens anzuerkennen, bedarf es einiger Widerstandressourcen, die, wie die obigen Fragen anleiten, durch das Zusammenspiel von Kind und Umwelt mit beeinflusst werden. Kein Kind kann diese Fragen ohne das Zutun der Eltern beantworten – weshalb jedem Elternteil auch die Verantwortung für das Wohlbefinden des Kindes zu gewissen Teilen beiwohnt. Erfahrungen und Prägungen sowie der Erziehungsstil spielen eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung von Widerstandsressourcen (wie wir sie auch im Kontinent der Kinder: Land Resilienz besprechen). Ein wichtiges Maß hierfür ist beispielsweise die Erfahrung, dass Probleme und Aufgaben als herausfordernd und lösbar anerkannt werden und Kinder bei ihren Versuchen, diese Erfahrung zu erlangen, von ihren Eltern begleitet werden. Wenn Kinder ständig überfordert sind, sich nicht ermutigt oder wertgeschätzt fühlen, zeigt sich dies ebenfalls in ihrem Stressempfinden.
Widerstandsressourcen
Gesunde Kinder verfügen demnach auch über ein Arsenal verschiedener Fähigkeiten und Kräfte, mit Herausforderungen und Spannungen, wie Stresszustände, umzugehen. In der 4kids Welt sprechen wir immer wieder über Bewältigungsstrategien, die das Kind im Beisammensein mit seinen Eltern erlernen kann. Kinder sind anfänglich auf die Beruhigung und die Nähe ihrer Eltern angewiesen, wenn Geist und Körper aus dem Gleichgewicht geraten. Erst mit zunehmendem Alter und bis weit in das Erwachsenenleben hinein lernen wir, mit den unterschiedlichsten Lebenssituationen und Umständen umzugehen. Dafür brauchen Kinder in vielerlei Hinsicht helfende Hände. Auch wenn sie viele Erfahrungen in ihrer Selbstständigkeit machen werden, bedarf es auch der Eltern, die als Unterstützer in emotionalen Situationen begleitend zur Seite stehen. Kinder wollen spätestens zur Kindergartenzeit ein Stück mitentscheiden, sie wollen sich als wertvoller Teil der Familienlandschaft sehen und entwickeln hierdurch ein positives und realistisches Selbstbild.
Das Kohärenzgefühl
Das Kohärenzgefühl ist die Überzeugung, dass das Leben sinnvoll, verstehbar und bewältigbar ist, auch wenn es kurzzeitig zu Problemen und Herausforderungen kommen kann. Es ist nicht als reines Gefühl zu verstehen, sondern als Wahrnehmung und Beurteilungsmuster. Es wurde mit einem kognitiven Raster verglichen, das einem erlaubt, sich und die Welt in einem bestimmten Licht zu sehen. Man unterscheidet dabei zwischen internen Ressourcen, wie eigene Bedürfnisse, Wünsche und Anforderungen, aber auch die Wahrnehmung von Ängsten, und externen Ressourcen, wie elterliche Unterstützung und Gemeinschaftssinn. Ein solches Gefühl entsteht zu gewissen Teilen aus anlagebedingten, genetischen Merkmalen, aber auch aus erlernten Fähigkeiten. Eltern und Kind können dabei ein Gefühl entwickeln, einen Grundsatz leben, der wie folgt lautet: Alles hat seinen Sinn, alles kommt so, wie es soll.
Gemeint ist damit das Vertrauen in die Vorhersehbarkeit der Umwelt. Ein Gefühl, dass die Zukunft in unseren Händen liegt und bewältigbar bleibt – ein ungemein wichtiger Teil unseres Gesundheitsempfindens.
Was bedeutet dies im Umgang mit Kindern?
Wir müssen Kinder zu selbstbewussten Menschen begleiten. Ihre Fehler und Versuche anerkennen, begleiten und nicht stetig mit dem moralischen Zeigefinger bewerten. Kinder müssen lernen, dass die Belastungen und Herausforderungen des menschlichen Lebens bewältigbar sind, und dass Niederlagen als Chancen für eine Weiterentwicklung ebenso notwendig sind wie positive Ereignisse. So wird Gesundheit nicht nur auf die Abwesenheit von Krankheit reduziert, sondern bildet ein ganzheitliches Konzept ab, ganz im Sinne unserer tatsächlichen körperlichen und geistigen Gesundheit. Dieses Kohärenzgefühl setzt sich aus drei Teilkomponenten zusammen, die bereits im Familienleben alltäglich vorzufinden sind:
1. Verstehbarkeit der eigenen Person und der Umwelt (comprehensibility)
2. Gefühl von Bedeutsamkeit oder Sinnhaftigkeit (meaningfulness)
3. Handhabbarkeit und Bewältigbarkeit (manageability)
Verstehbarkeit: Menschen mit ausgeprägtem Kohärenzgefühl erleben die Welt als strukturiert, vorhersehbar und erklärbar. Gleiches gilt für ihre inneren Erfahrungszustände. Ebenso haben gesunde Menschen mit ausgeprägtem Kohärenzgefühl das Gefühl, dass auch andere Menschen sie verstehen. Diese Verstehbarkeit ordnet Antonovsky der kognitiven Seite des Erlebens zu.
Handhabbarkeit: Hinter dem Gefühl der Handhabbarkeit der Welt steht die Überzeugung, generell geeignete Ressourcen an der Hand zu haben, um Probleme und Herausforderungen zu bewältigen. Schwierigkeiten, so die Überzeugung, sind zu meistern – gleichgültig, ob der Betreffende sie selbst löst, ob er sich auf andere verlässt oder einer höheren Macht vertraut. Auch Handhabbarkeit wird der kognitiven Seite des Erlebens zugeordnet.
Bedeutsamkeit, Sinnhaftigkeit: Menschen mit hochgradigem Kohärenzgefühl halten ihr Leben, ihre Biografie und ihr Tun für sinnvoll. Die Aufgaben sind es wert, dass man Energie in ihre Lösung investiert – gleichgültig „wie die Sache ausgeht“. Menschen mit viel Kohärenzgefühl werten ihr Leben als interessant, lebenswert und schön.
Diese 3 Punkte führen uns zu einer Selbstreflexion. Hieraus entstehen wichtige Handlungsanleitungen für das Familienleben. Wie begleiten wir unsere Kinder durch diese Lebensbereiche? Zum Teil erschaffen sich hieraus wichtige Ressourcen, die wiederum Einfluss auf die Gesundheit nehmen können. So können wir auf zwei Wegen unvorhergesehenen Ereignissen begegnen, die wiederum einen enormen Einfluss auf unsere Gesundheit haben: in einer Aufwärtsspirale oder in einer Abwärtsspirale.
Die Aufwärtsspirale: Ein hohes Maß an Widerstandsressourcen hilft, Reize seltener als Stressoren und Alarmzeichen zu werten. Die Erfahrungen werden „verbessert“. Das Kind erfasst die Welt als strukturiert und handhabbar – mit der Folge, dass diese Erfahrungen das Kohärenzgefühl stärken. Diese Stärkung wiederum erhöht die Widerstandsressourcen.
Die Abwärtsspirale: Ein Stressor löst Spannung aus, und dem Kind gelingt es nicht, diese Spannung zu lösen. Folge: Es gerät in einen Stresszustand. Zugleich erfährt sich das Kind als machtlos gegenüber der Welt und kann – wenn sich dieses Gefühl über längere Zeit festsetzt – ein nur gering ausgeprägtes Kohärenzgefühl entwickeln.
Gesundheitsförderung gibt es nicht als Patentrezept. Wer die Gesundheit als ganzheitlichen Bereich des Menschen verstehen will, der muss erkennen, dass Gesundheit mehr bedeutet als die Abwesenheit einer Krankheit. Es ist generell eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe, den Fokus auf die Bereiche zu lenken, die den Menschen dabei helfen, sich gesund, munter, lebendig und gut zu fühlen.
Was können Eltern zur Gesundheitsförderung beitragen?
Mit zunehmendem Lebensalter ist es wichtig, dass Kinder ein gewisses Maß an Körperbewusstsein entwickeln. In den ersten Lebensjahren entwickeln sich grundlegende Einstellungen und Gewohnheiten, ob in der Bewegung oder am Essenstisch. Aber auch wichtige Einstellungen zu sich selbst und zur Familie begleiten den Gesundheitszustand eines Kindes.
- Eltern die ihrem Kind auf Augenhöhe begegnen, Sicherheit und Geborgenheit schenken, tun etwas für die Gesundheit ihres Kindes.
- Eltern, die sich nicht viel mit ihren Kindern bewegen, nicht in an die frische Luft gehen und keine sportlichen Aktivitäten begleiten, können nicht erwarten, dass Kinder dies aus eigenen Stücken tun werden.
- Kinder tragen nicht die Verantwortung für die Ernährungsgewohnheiten der Familie. Was im Kühlschrank ist, wird für Kinder verfügbar.
- Kinder lernen am Vorbild und eignen sich auch das gesundheitsförderliche Verhalten ihrer Eltern zu gewissen Teilen an (siehe Kontinent der Erziehung: Rolle des Vorbilds).
Aaron Antonovsky, Alexa Franke: Salutogenese, zur Entmystifizierung der Gesundheit. Dgvt-Verlag, Tübingen 1997, ISBN 3-87159-136-X.
Aaron Antonovsky: Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit. dgvt-Verlag, Tübingen 1997, S. 36.
Theodor Dierk Petzold (Hrsg.): Lust und Leistung und Salutogenese. Verlag Gesunde Entwicklung, Bad Gandersheim 2010; Theodor Dierk Petzold: Praxisbuch Salutogenese – warum Gesundheit ansteckend ist. Südwest, München 2010.
Aaron Antonovsky, zit. in Christina Krause, Rüdiger-Felix Lorenz: Was Kindern Halt gibt. Salutogenese in der Erziehung. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2009, S. 42.
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Hölling H, Schlack R, Dippelhofer A et al. (2008) Personale, familiäre und soziale Schutzfaktoren und gesundheitsbezogene Lebensqualität chronisch kranker Kinder und Jugendlicher. Bun - desgesundheitsbl Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz 51(6):606-620
Naturpädagogin,
Familienpflegerin