6.3 Lernen mit Sinn und Bedeutung (Ko-Konstruktion)
Entscheidend ist, dass das Kind und seine Umwelt aktiv sind
Kinder besitzen die Gabe, sich selbst zu bilden, durch eigenständige Versuche und selbständiges Begreifen. Doch auch gemeinsam, im Miteinander und im Austausch, lernen Kinder die Bedeutung und den Sinn von Zusammenhängen kennen, die alleine nur schwer zusammenzuführen sind. Der Ansatz, welchen wir hier verfolgen, heißt, dass Lernen durch Zusammenarbeit stattfindet, also von Eltern und Kindern gemeinsam ko-konstruiert wird. Dabei ist der Schlüssel dieses Ansatzes, dass die Umwelt interpretiert werden muss, damit Kinder sie verstehen.
- Wo ist die Sonne in der Nacht?
- Warum sind Blätter mal grün, mal gelb und manchmal gar nicht mehr auf den Bäumen?
- Wieso regnet es?
- Und warum lieben Bienen Blumen so sehr?
Kinder lernen die Welt in vielerlei Hinsicht dadurch kennen, dass sie sich mit anderen austauschen und die Bedeutungen ihres Austausches aushandeln. Wie sehen Kinder die Welt? Dies geschieht im Dialog mit Eltern, im Kindergarten oder mit anderen Kindern. Dabei wird nicht nur ein gemeinsames Miteinander angeregt, sondern auch die sprachliche und soziale Entwicklung gefördert. Hier stellen wir Eltern und Kind in den Mittelpunkt, denn kein Mensch kommt ohne die Beziehung zur seiner Lebensumwelt aus.In ko-konstruktiven Prozessen lernen Kinder, wie man gemeinsam mit Erwachsenen (auch mit anderen Kindern) in einer Lerngemeinschaft Probleme löst, Bedeutungen und das Verständnis von Dingen und Prozessen teilt, diskutiert und verhandelt. Der Schlüssel der Konstruktion ist die soziale Interaktion. Ko-Konstruktion kann die Entwicklung von Selbstvertrauen fördern, indem die Kinder ermutigt werden, ihre individuelle Meinung auszudrücken, und auch indem Erwachsene Interesse an der Meinung der Kinder zeigen und diese wertschätzen.
Lerneffekte durch Ko-Konstruktion
- Die Welt kann auf viele Arten erklärt werden;
- Bedeutungen werden miteinander geteilt und untereinander ausgehandelt;
- ein Problem oder Phänomen kann auf viele Weisen gelöst werden;
- Ideen können verwandelt und ausgeweitet werden;
- Ideen können ausgetauscht werden;
Die Ziele ko-konstruktiver Bildungsprozesse sind:
- neue Inhalte gemeinsam erarbeiten;
- verschiedene Perspektiven kennenlernen;
- gemeinsam mit anderen Probleme lösen;
- den momentanen Verstehens-Horizont erweitern;
Dies hilft soziale Kompetenzen zu trainieren; die Ausdrucksfähigkeit zu verbessern; die Denkfähigkeit anzuregen; das Verständnisniveau zu erweitern; kognitive Flexibilität zu entwickeln.
Fragen und Antworten - der Weg zum Selbst
Selbst bei komplexen Fragestellungen bekommt man in der Regel „Ein-Wort-Antworten“; wenn man Glück hat, einen vollständigen Satz. Während die Zeiten sich verändert haben und Kinder heute fast jede Antwort vorgegeben bekommen, meist nicht einmal die Frage stellen müssen, finden wir, dass die Kindheit durchaus ihre Fragen braucht. Nicht nur durch Medien werden Antworten stets vorgegeben, auch im Spiel ist das meiste, was Kinder vor sich sehen, bereits vollendet und muss lediglich zusammengesetzt werden (Lego, Playmobil). Das heißt nicht, dass dies verkehrte Spiele wären, sondern das heißt, dass es für Kinder wichtig ist, auch selbst Zusammenhänge zu erfahren, zu erfinden und zu entdecken. Diese Reise machen wir gemeinsam und finden mehrere Beispiele auf unserem Weg.
Im Land der Selbstwirksamkeit haben wir davon gesprochen, wie Kinder durch ihr eigenes Handeln ihre Welt erkunden. In diesem Land steht der soziale Austausch im Vordergrund, nicht unbedingt die alleinige und individuelle Anstrengung des Kindes. Alle Beteiligten nehmen hier ihre Rolle ein, ganz im Sinne des Begriffs Ko-Konstruktion, wonach Lernen durch Zusammenarbeit entsteht, sprich ko-konstruiert wird. Hier lernen Kinder in einer Art „Eltern-Kind-Gemeinschaft“ nicht einfach nur zu lernen, sondern hauptsächlich Probleme zu lösen, um den Dingen der Umgebung Bedeutung, Sinn und Verständnis einzuhauchen. Dabei soll ganz klar der Austausch im Vordergrund stehen.
Ein kleiner Ratschlag:
Bei den folgenden Erklärungen gibt es für Kinder nicht unbedingt ein Ziel. Bei gemeinsam gestalteten Lernprozessen ist der Weg das Ziel. Das heißt, ein Lernerfolg entsteht nicht (allein) dadurch, dass man zum Ergebnis kommt – sondern aufgrund dessen, dass man Eltern-Kind-Momente erschafft und die Interessen des Kindes auffängt und begleitet.
Der Schlüssel zum gemeinsamen Lernen heißt hier: Ko-Konstruktion
Ko-Konstruktion heißt, das Interesse eines Kindes zu erkennen und um diesen Interessensbereich eine Lernsituation zu gestalten. Dies ist eine wunderbare Möglichkeit, spielerisch das kindliche Wissen zu erweitern. Denn ein Lernfeld ist umso wirksamer, desto interessierter und demnach offener das Kind für ein Thema ist. Meist geschieht dies an ganz ungewöhnlichen Orten, die nicht unbedingt vorhergesagt werden können. Beispielsweise dann, wenn man gemeinsam im Wald spaziert und ein Reh sieht oder einen Frosch in einem Tümpel entdeckt. Doch auch bei geplanten Projekten wie dem gemeinsamen Pflanzen von Kresse oder Tomaten, dem Bauen eines Baumhauses oder einem Besuch im Zoo – überall dort, wo Kinder mit offenen Fragen, begeisternder Laune oder lustvollem Interesse entdecken, können Eltern und Kind gemeinsam etwas Neues lernen. Denn die Offenheit, die Entdeckerfreude und Gestaltungslust, die Kinder ausleben, wenn sie aktiv sind, erschaffen tolle Lerngegenstände. Allein dadurch, dass Eltern eine Begleitung bieten und sich helfend und aufmerksam mit einbeziehen.
Diese Form des Lernens durch Zusammenarbeit findet sich auch im pädagogischen Alltag wieder, beispielsweise im Kindergarten. Dahinter verbirgt sich eine Theorie der Wissensaneignung, die wir Ihnen hier vorstellen wollen (soziokulturelle Theorie).
Die Phänomene der Welt gemeinsam entdecken
Bereits für Kinder stehen Fragen über naturwissenschaftliche Phänomene im Mittelpunkt ihrer Erfahrungswelt. Die Welt unter die Lupe zu nehmen, die Natur und ihre Vielfalt zu entdecken, können auch inmitten des Familienlebens stattfinden. Die Fragen, die Kinder stellen, die „Probleme“, die sich vor ihnen auftun, bieten dabei eine wunderbare Möglichkeit, gemeinsam in einen Austausch zu treten, aus dem beide etwas lernen können – Eltern und Kind.
Dabei unterschätzen wir die Fähigkeiten eines Kindes, sich seiner Umwelt fragend entgegenzustellen und die bereitgestellten Antworten auch zu verstehen. Denn Kinder sind aufmerksame Lerner und immer dann, wenn wir ihnen Erklärungen bieten, haben diese Antworten für sie durchaus Bedeutung.
Stellen wir uns folgende Situation vor:
Gemeinsam mit Ihrem Kind machen Sie einen Ausflug an einen nahegelegenen See zur Herbstzeit. Die Natur, die ihr Kind umgibt, hat reichlich Potenzial für Selbstbildung und leuchtet in allen herbstlichen Farben, getragen durch rote, gelbe und braune Blätter, die von den Bäumen fallen. Ihr Kind findet unterschiedliche Stöcke, große und kleine Steine sowie verschiedenfarbige Blätter. Gemeinsam könnten Sie diese nun nach Farben und Größen sortieren (manche Blätter sind rot, manche gelb usw.). Dieser Lernweg bildet hauptsächlich Faktenwissen – was keinesfalls zu wenig wäre. Doch im Sinne der Ko-Konstruktion bewegen wir uns nun etwas tiefer in die Welt der Zusammenhänge. Ko-konstruktiv zu handeln hieße nun, wenn Sie sich gemeinsam einer Sache widmen, die Fragen aufzugreifen, die Ihr Kind stellt, und den Sinn dabei hervorzuheben, beispielsweise durch Folgendes:
- Warum fallen die Blätter?
- Aus welchem Grund ist es wichtig für den Baum, seine Blätter abzuwerfen?
- Warum werfen andere Bäume ihre Blätter nicht ab?
- Haben Bäume eine „Aufgabe“ in unserer Umgebung?
Wie Sie bemerken, bedarf es dazu einiger Antworten, die uns meist selbst nicht auf der Zunge liegen. Doch genau darin besteht die Freude für Eltern und Kind, wenn sie sich gemeinsam einer Sache widmen, sie erforschen und gemeinsam eine kleine Antwort auf große Fragen finden. Ko-Konstruktion sucht also nach der Bedeutung und dem Sinn einer Sache und beschränkt sich nicht nur auf den Erwerb von Faktenwissen. Deshalb ist die Erforschung von Bedeutungen ein bedeutungsvoller Lernweg, durch welchen Kinder und Eltern in ihrer Familiengemeinschaft versuchen, ihre Umwelt zu interpretieren, gemeinsam lernen, spielen, entdecken und verhandeln.
Durch Ko-Konstruktion lernen Kinder, Fragen an die Umwelt zu stellen und Lösungswege zu finden. Dies soll dazu dienen, ihren Horizont zu erweitern, und ihnen aufzeigen, auf welchen gedanklichen Wegen man der Welt Sinn einhaucht.
Kinder lernen, dass die Welt auf verschiedene Arten erklärt werden kann, dass es mehrere Perspektiven und Blickwinkel gibt, von welchen aus man versuchen kann, die Welt zu beschreiben und sie zu betrachten. Das Ganze findet darin seine Besonderheit, dass Eltern und Kind Ideen austauschen und eine anregende Atmosphäre erschaffen, die aufregend und bereichernd wirkt. Eltern nehmen hier nicht die Rolle des Beobachters ein, verhalten sich nicht passiv, sondern nehmen ebenfalls eine aktive Rolle ein. Kinder bleiben zwar die aktiven Lerner, doch Eltern können durch verschiedene Wege ihr Kind dazu antreiben, sich mit einer Sache tiefgründiger zu beschäftigen.
Können Kinder bereits Sinn und Bedeutung ihrer Umwelt wahrnehmen?
Die Entwicklungspsychologie zeigt, dass Kinder im Kindergartenalter bereits fähig sind, sich ihrer Umwelt soweit zu öffnen, dass sie den Dingen ihrer Umwelt nach und nach Bedeutung und Sinn einhauchen. Dann sind sie bereits in der Lage, Ideen auszutauschen und Erkenntnisse gemeinsam mit ihren Mitmenschen zu kombinieren. Kindern lernen durch solche Versuche, ihre Umwelt zu beschreiben.
Auch wenn dies lediglich ihre ersten Schritte sind, können Eltern altersentsprechende Möglichkeiten bereitstellen und offen gestaltete Wege aufzeigen, um gemeinsam auf verschiedene Fragen Antworten zu finden. Dabei ist es für Kinder erst einmal nicht wichtig, dass die Fragen von ihren Eltern mit absoluter Richtigkeit beantwortet werden, sondern, dass Kinder sich verschiedenen Aufgaben stellen können, die sie auch geistig anregen.
Eltern dienen als Ratgeber, aber auch als Mitsuchende nach Antworten, Lösungen und Ideen. Dabei ist es nicht wichtig bis ins letzte Detail zu wissen, wie etwas funktioniert, sondern einen Prozess zu begleiten, der uns ein Stück in eine Richtung treibt, und auf diesem Weg etwas zu lernen.
Um das Ganze praxisnah darzustellen, folgen wir Yola und ihrer Neugierde beim Waldspaziergang.
Bei einem gemeinsamen Spaziergang im Wald findet Yola (5) am Stumpf eines Baumes ein heruntergefallenes Vogelnest. Sie bemerkt zwei kleine Federn, die sich in der Nähe des Vogelnests befinden. Vorsichtig geht Yola in die Knie und schaut sich an, was sie gerade gefunden hat. Mit aufgeregter Stimme ruft sie nach Mama und Papa, sie fragt:
Yola: „Mama, Papa, was ist das, sind das da Federn von einem Vogel?“
Mama: „Ja, das ist ein Vogelnest, das ist bestimmt von dem Baum gefallen, da leben normalerweise Babyvögel mit ihren Eltern.“
Yola: „Wo sind denn da die Vögel hin?“
Das Vogelnest, obwohl es doch nicht mehr brauchbar scheint für die Vogelfamilie, will Yola genau da liegen lassen. Die Vögel wollen es vielleicht noch einmal benutzen, gibt sie als Begründung an.
Doch das Interesse und die Begeisterung dieser Entdeckung treiben sie an. Zuhause angekommen, beginnt sie mit kleinen Stöckchen, die sie mitgebracht habt, ein solches Nest nachzubauen. Sie bemerkt, dass sie es nicht so gut hinbekommt, wie das die Vogelmama geschafft hat.
Einige Fragen bringt Yola in ihrem Köpfchen zusammen:
- Waren da Babys drin?
- Ist ihr Haus jetzt kaputt?
- Wo sind sie jetzt hin?
Die mit dem Vogelnest zusammenhängenden Fragen zeigen die vielfältigen Möglichkeiten zur Erklärung von Bedeutungsinhalten. Nicht alle Fragen müssen von Yola erdacht werden. Eltern können hier bereits vielfache Ideen mit einfließen lassen.
- Warum fliegen Vögel eigentlich und wir nicht?
- Sollen wir es gemeinsam herausfinden?
Wir können auch eine Vogelfamilie in genau dem Nest malen, das wir gesehen haben.Sollen wir einmal raus gehen und schauen, ob wir ein paar Vögel sehen? Es gibt ganz viele unterschiedliche.
Durch offene Fragen werden Kinder herausgefordert, eigene Ideen mit einzubringen. Sie erleben sich dabei als Mitglied eines tollen Erlebnisses, als Teil einer Lerngemeinschaft – so macht lernen Spaß! Ko-Konstruktion kann immer dann zum Einsatz kommen, wenn Kinder versuchen, die Welt um sich herum zu verstehen.
Ob das Interesse dann durch ein Bilderbuch, gemeinsames Malen, Forschen oder Entdecken unterstützt wird, ist Ihrer freien Kreativität überlassen.
Bedeutung und Sinn der Umwelt – ein Teil der Ko-Konstruktion
Kinder müssen, um die Welt um sich herum zu verstehen, sich aktiv mit ihr auseinandersetzen. Dabei führt gemeinsames Lernen im Sinne der Ko-Konstruktion dazu, dass man sein Kind durch die eigene natürliche Lernneugier begleitet. Eltern können gemeinsam mit Kindern die Erforschung von Bedeutung in den Vordergrund stellen, den Sinn stärker betonen als den Erwerb von Fakten. Der Erwerb von Fakten ist eine Lernmethode, die wir alle kennen, meist haben nüchterne Fakten keine Hintergründe, die uns einleuchtend erscheinen, wenn wir den Fakt wiedergeben. Zu wissen, wie hoch der Eifelturm ist, besagt nicht automatisch, die geschichtlichen Hintergründe seiner Erbauung zu kennen. Zu wissen, dass im Wald Buchen stehen, bedeutet nicht zu verstehen, dass diese Lebewesen unseren Sauerstoff produzieren. Eltern können gemeinsam mit Kinder Wissen ko-konstruieren, indem sie die Suche nach der Bedeutung einer Sache stärker in den Vordergrund stellen als den Erwerb von Fakten.
Was bedeutet es einen Sinn zu verstehen?
Der Erwerb von Fakten hilft Kindern, ihre Umwelt zu beschreiben, verschiedene Informationen zu sammeln und sie bei Bedarf wiederzugeben. Meist lernen wir Fakten durch Wiederholung, Beobachtung und Beschreibungen, die wir von unseren Mitmenschen aufschnappen oder bewusst beigebracht bekommen. Die Bedeutung und den Sinn einer Sache zu erfahren, bedarf jedoch einer besonderen Denkleistung. Es geht dabei darum, Ideen zu entwickeln und auszudrücken, diese mit anderen zu teilen und zu diskutieren – innerhalb einer „Lerngemeinschaft“. Wer die Bedeutung hinter einer Sache erkennt, hat ein viel tieferes Verständnis über das Gelernte. Dies liegt an der Art und Weise wie unser Gehirn arbeitet. Im Land Gehirngerechtes Lernen erfahren wir beispielsweise, weshalb Lernen mit Sinn und Bedeutung „tiefere Spuren“ im Gehirn hinterlässt.
Optimale spielerische Begleitung
- Sensibel auf die Interessen des Kindes eingehen.
- Auf den Lerngegenstand eingehen, sodass sie wechselseitig aufeinander reagieren können.
- Neugier wecken und Interesse beibehalten
- Den Wissensvorsprung, den Sie besitzen, nur in wohldosierten Portionen angeben.
Nicht alles auf einmal lösen, sondern in Teilschritte zerlegen.Hinter jedem dieser Punkte steckt eine kleine Vorbereitung, auch gedanklich. Wir wollen dies an einem weiteren Beispiel verdeutlichen. In diesem Beispiel finden wir einen anderen Weg zum gemeinsamen Lernen, und zwar dadurch, dass wir das Interesse von Marlon begleiten und einen kleinen Lerneffekt erzielen können – allein dadurch, dass wir sein Interesse aufschnappen.
Marlon (4 1/2) sitzt wie gefesselt vor seinem Feuerwehrauto. Sein Blick ist angespannt, dennoch konzentriert. Er versucht herauszufinden, warum die Leiter sich nicht mehr ausfahren lässt, die das Feuerwehrauto erst zu dem macht, was es ist. Bis vor ein paar Minuten konnte er mit einer Fernbedienung die Leiter seines Feuerwehrautos noch bewegen, was natürlich für ihn äußerst wichtig ist, um den Turm, den er sich aufgebaut hat, spielerisch zu löschen.
Nun gibt es für Marlons Eltern zwei Möglichkeiten, wir nennen diese M1 und M2:
M1: Sie erkennen die Situation, bemerken, dass das Spiel für Marlon gerade erst begonnen hat und wollen ihm unter die Arme greifen. Sie nehmen das Feuerwehrauto zu sich, besänftigen Marlon, dass sie sich darum kümmern und das Spielzeug gleich wiederbringen werden.
„Warte, ich mach’ das schnell!“
M2: Es ist etwas aufwendiger, lebt aber vom gemeinsamen Erkunden.
- Was hat Marlon vor?
- Welche Lösungen hat er bereits versucht?
Dazu bedarf es des Interesses an Marlons „Problemchen“ und ein ermutigendes Anerkennen seiner bisherigen Bemühungen.
Beispielsweise könnte man nun gemeinsam die Aufgabe „Feuerwehrauto“ begleiten.
- „Was hast du denn bereits versucht?“
- „Seit wann bewegt sich die Leiter nicht mehr?“
- „Wie könnten wir das Spiel weiterführen?“
- „Wie entsteht denn eigentlich ein Feuer?“
- „Wie löscht die Feuerwehr ein Feuer?“
Eltern und Kind treten gemeinsam in eine „Problemanalyse“, in der sie gemeinsam tüfteln und versuchen, das Spielzeug wieder zu reparieren (oder das Interesse für weiterführende Ideen zu benutzen, wie bereits oben in den Fragen dargestellt). Der Dialog, der dabei entsteht, ist nicht nur ein Indiz für eine Eltern-Kind-Beziehung, sondern unterstütz auch den Lernprozess. Denn bei der ersten Möglichkeit (M1) ist das Problem gelöst, ohne dass Marlon beteiligt war. In der zweiten Möglichkeit ist er die treibende Kraft, auch wenn er dies nicht so wahrnimmt. Man führt im gemeinsamen Erkunden das Kind, dadurch, dass eine motivierende und unterstützende (Lern-)Atmosphäre herrscht, zum Ziel seines Vorhabens.
Welche Erfahrungen stehen für Babys im Vordergrund?
Bei Babys stehen sensorische Erfahrungen im Vordergrund. Ihnen sollten deshalb vielfältige Möglichkeiten geboten werden, ihre Umgebung durch Fühlen, Schmecken, Riechen, Tasten, Bewegung, Hören etc. zu erfahren. Kleinkinder entwickeln schnell die Fähigkeit, durch Sprache, Bilder, Modelle und Bauwerke die Welt zu entdecken und zu deuten. Sie besitzen eine große Bandbreite an Gesten und können sich bereits durch Musik, Rollenspiele, Geschichten, Bilder und Bewegungen ausdrücken, um anderen ihre Erfahrungen mitzuteilen.
Im Kontinent der Babys haben wir zahlreiche Möglichkeiten für Sie bereitgestellt, um ein Baby dabei zu unterstützen.
Diese Fähigkeit zu symbolischen Ausdrucksweisen nimmt bei Vorschulkindern noch weiter zu. Im Schulalter können Kinder immer besser die Perspektiven und Gefühle anderer verstehen. Mit Ausdrucksformen wie Tanz und Musik können sie ihr Begreifen verdeutlichen und mitteilen und somit ihre Fähigkeit erhöhen, Bedeutung zu konstruieren.
Wissen aneignen mit allen Sinnen
Wissen, das sich selbst im ko-konstruktiven Prozess angeeignet wird, besitzt einen hohen Stellenwert. Denn dadurch, dass Kinder eine Beziehung zu der Aufgabe bekommen, eine Motivation im spielerischen Sinne, entwickelt sich ein Verständnis für die Sache, dadurch bilden sich auch tiefe Wissensstrukturen. Strukturen, die sich dann in uns verfestigen, wenn wir Interesse haben, selbst handeln durften, versuchen konnten und ein persönliches Interesse besteht.
Mit solchen Erfahrungen haben wir die besten Voraussetzungen geschaffen, um hin und wieder ein kleines familiäres Lernprojekt zu gestalten. Natürlich sollten wir dabei nicht vergessen, dass dies selten erzwungen werden kann – es muss ein beidseitiges Interesse herrschen und nicht jede Aktion wird genauso verlaufen, wie man sich das vorstellen mag, doch werden sich genügend Möglichkeiten finden, um sich einem solchen ko-konstruktiven Weg zu nähern.
Sei es das Vogelnest von Yola oder das Feuerwehrauto von Marlon, überall dort, wo Kinder selbst Hand anlegen dürfen beim Problemlösen oder beim Fragenstellen ernstgenommen werden, lernen sie etwas Wichtiges. Sie lernen, dass Fragen wichtig sind und dass man auf die meisten Fragen auch eine Antwort finden kann. Denn die Fragen, die wir an unsere Umwelt stellen, sind auch immer die Fragen, die uns durch unser Leben begleiten werden – sie werden ein Stück Persönlichkeit. In ko-konstruktiven Prozessen lernen Kinder, wie man untereinander und gemeinsam mit Erwachsenen in einer Lerngemeinschaft Probleme löst, Bedeutungen und das Verständnis von Dingen und Prozessen teilt, diskutiert und verhandelt. Der Schlüssel der Konstruktion ist die soziale Interaktion. Ko-Konstruktion kann die Entwicklung von Selbstvertrauen fördern, indem die Kinder ermutigt werden, ihre individuelle Meinung auszudrücken, und auch indem Erwachsene Interesse an der Meinung der Kinder zeigen und diese wertschätzen.
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Naturpädagogin,
Familienpflegerin