9.1 Ernährungspsychologie
Paul Bocuse
Der Ort, an dem wir unsere Geschmacksvorlieben entwickeln, ist in den meisten Fällen das Elternhaus. Zwar lässt sich über den Geschmack bekanntlich streiten und am Ende sind Geschmacksvorlieben auch immer individuell. Jedes Kind entwickelt unterschiedliche Abneigungen und Vorlieben. Die Esskultur der Familie legt einen großen Rahmen um die Ausbildung des individuellen Geschmacks eines Kindes. Denn sie verfügt über das Angebot, sprich das, was auf den Tisch kommt. So gibt es genetische und entwickelte Geschmacksvorlieben. Bereits im Mutterleib gibt es die erste Prägung des Geschmacks, durch das Fruchtwasser aufgenommen. Ernährung beginnt nicht nur im Körper zu wirken, sondern ebenso in unseren Köpfen. Aromen, Textur und Farbe, der Geruch und die Bekanntheit, ob das Nahrungsmittel süß oder salzig, ob von den Eltern verboten oder erlaubt, das alles kann den Bezug zur Nahrung beeinflussen. Essen ist ein Lernprozess und deshalb sind auch schlechte Ernährungsgewohnheiten über viele Jahre erlernt.
- Wie vielseitig ist das Angebot (nur industriell)?
- Wie wird ein Lebensmittel serviert?
- Werden Lebensmittel zur Belohnung herangezogen?
In den meisten Fällen interessieren wir uns für die Nährwerte, Vitamine, Kalorien und versuchen durch ausgewogene Ernährung unseren Körper mit allen wichtigen Nährstoffen zu versorgen. Gerade im Zusammenspiel mit Kindern und der Entwicklung ihrer Essgewohnheiten und Geschmacksentwicklung reicht der Blick auf die Nährwerttabelle jedoch nicht aus. Ernährungspsychologie blickt hinter die Kulissen unserer Gewohnheiten, hinter die Motive von Essentscheidungen, Prägungen des Essverhaltens und der Steuerung von Hunger und Sättigung.
Essen – ein Lernprozess
Das Essen mit dem Kind ist begleitet von Lernprozessen, Gefühlen, Emotionen oder auch ob die Eltern etwas mögen oder nicht, ob sie manche Speisen bevorzugen und andere ablehnen. Doch auch gesunde Vorlieben können begleitet werden.
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Positive Erfahrung: Eine Saftschorle (auf den Zucker achten) nach dem Sport löscht den Durst wunderbar.
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Gewohnheiten: Immer am Nachmittag essen wir einen leckeren Apfel und Körnercracker, am Abend ein Stück Banane und zwei getrocknete Apfelringe.
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Rituale: Wird es kalt draußen, kocht Mama oder Papa eine leckere Gemüsesuppe. An heißen Sommertagen gibt es immer einen erfrischenden Melonensalat.
Haben sich solche Gewohnheiten einmal genussvoll eingespielt, kommen Kinder gerne darauf zurück. Ernährungsgewohnheiten lassen sich auch durch Familienrituale begleiten. Denken Sie nur an das Weihnachtsessen, das bei fast allen Familien jedes Jahr wiederholt wird. Wir wollen Ihnen einen Einstieg in die Ernährungspsychologie geben, da unser heutiges Wissen vor allem auf Kalorien etc. und den Begriffen gesund und ungesund aufgebaut ist. Jedoch interessieren sich Kinder nicht für Nährwerte oder Kalorien. Für Sie muss es schmackhaft und so süß wie nur möglich sein. Die Ernährungspsychologie blickt hinter die Kulissen unserer Ernährungsgewohnheiten und was dabei zu beachten ist.
Schokolade und Eis
Die Atmosphäre am Esstisch, die Erinnerungen an bestimmte spezifische Situationen können in Verbindung mit unserem Ernährungsverhalten zusammenhängen. Ein Grund, weshalb niemals negative Gefühle, Druck und Entmutigung am Essenstisch stattfinden sollte. Der Mensch strebt nach Genuss (Genussmaximierung) und auch Kinder essen lieber das, was ihnen schmeckt (Schmackhaftigkeit), als das zu essen, was gesund ist. Essen ist ein Lernprozess und sein Kind zum gesunden Essen zu „zwingen“, ist meist vergebene Mühe. Wie mehrere Untersuchungen zeigen und was Eltern bereits wussten: Kinder lieben süße, salzige und fettige Speisen. Schokolade und Eis, Pizza und Pommes gehören zu ihren absoluten Lieblingsspeisen. Doch entsteht eine große Schwierigkeit dadurch, dass Kinder sich an industriell hergestellte Lebensmittel und ihre Geschmäcker gewöhnen. „Normales“ Essen kommt aus dem Supermarkt, aus der Tiefkühltruhe oder dem Eisfach. Das Ernährungsvorbild muss sich seiner Rolle bewusst werden und ist letztendlich verantwortlich für die Verfügbarkeit der Nahrung im Haus.
Dipl.-Ernährungswissenschaftlerin | Zertifizierte Ernährungsberaterin
Wieso haben Kinder eine Vorliebe für Süßigkeiten?
Es gibt eine angeborene Vorliebe für den Geschmack ‚süß‘, d. h. die Vorliebe von Kindern für süße Lebensmittel ist genetisch fixiert, man spricht bei der genetischen Süßpräferenz auch vom „Sicherheitsgeschmack der Evolution“, denn es gibt nichts Süßes auf der Welt, das gleichzeitig bitter ist. Außerdem sind Lebensmittel mit süßem Geschmack auch ein Zeichen für hohe Energiedichte und schnell verfügbare Energie, d. h. im Wachstum unentbehrlich.
Für den Umgang mit Süßigkeiten ist dabei problematisch, dass Süßigkeiten keinen hohen ernährungsphysiologischen Nährwert haben, d. h. wenig bis keine Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente, Ballaststoffe und sekundäre Pflanzenstoffe. Aber auch Süßigkeiten gehören dazu. Gerade Kinder sollten unbedingt den Umgang damit, d. h. das Genießen in Maßen lernen. Süßigkeiten sollten keinen höheren Stellenwert haben als andere Lebensmittel. Wichtig hierbei ist, dass Süßigkeiten nicht als Trostmittel, Belohnung oder Liebesersatz eingesetzt oder sogar zur Bestrafung entzogen werden sollten.
Weshalb will mein Kind kein Gemüse essen: ein Blick in die Geschmackspräferenzen
Jedes Kind kommt auf die Welt mit einer natürlichen Präferenz für Süßes und Salziges, gleichwohl haben wir von den ersten Tagen an eine Abneigung gegen Saures oder Bitteres. In der Natur finden wir keine süß schmeckenden Lebensmittel, die giftig sind – es ist sozusagen ein evolutionsbedingtes Überlebensprogramm. In Zeiten der Verknappung, die heute zwar nicht mehr herrschen, doch uns noch immer beiwohnen, war das Süße ein willkommener Energielieferant. Kinder präferieren demnach von Natur aus Süßes vor Bitterem. Die Veränderung natürlicher Geschmackspräferenzen und späterer individueller Vorlieben erfolgt in den meisten Fällen in den ersten sechs Lebensjahren bis zur Pubertät. Bestimmt werden diese Geschmackspräferenzen durch das Angebot, individuelle Erfahrungen und Vorlieben. Es zeigen sich hier die ersten schwer zu umgehenden menschlichen Vorlieben. Die Zuneigung zum Süßen wohnt jedem Kind bei, je jünger, desto süßer. Um aus dieser Spirale hinauszutreten, bedarf es Zeit und keiner, mit Süßigkeiten voll beladener Einkaufswagen. Denn Kinder werden wie verrückt danach sein.
Wichtig: Kinder beginnen sich aus den natürlichen Geschmacksvorlieben nach und nach hinauszubewegen und entwickeln ihre individuellen Geschmacksvorlieben. Das heißt, mit aller Wahrscheinlichkeit wird der Brokkoli (bitter) den meisten Kindern nicht von Beginn an schmecken, sei er noch so nahrhaft. Der bittere Geschmack stößt den meisten Kindern auf. Eltern können mit zunehmendem Lebensalter der Kinder immer wieder versuchen, neue Gerichte und Geschmackseindrücke zu präsentieren. Ab einem gewissen Alter, überwiegend ab dem 6. Lebensjahr, sind Kinder nach und nach bereit, mit ihren Eltern einige „Geschmacksexperimente“ auszuprobieren.
Geschmacksübungen
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Verbinden Sie ihrem Kind die Augen (Sie können das Spiel auch abwechselnd spielen.) und sie ihrem Kind eine Nasenklammer auf. Ohne Geruchssinn sind die meisten Geschmäcker äußerst schwierig zu erkennen: Zitrone, Erdbeere oder Melone, was ist in meinem Mund?
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Nasenklammer anlassen und einen Apfel zerbeißen – kurz bevor Sie den Apfel herunterschlucken, entfernen Sie die Nasenklammer. Der Geschmack wird nun sehr intensiv wahrgenommen. So lassen sich intensive Geschmackseindrücke erleben und Spaß macht es obendrein auch noch.
Schon das Neugeborene hat bestimmte Geschmackspräferenzen, die bereits im Mutterleib durch das Essverhalten der Mutter beeinflusst werden (pränatale Prägung). Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass bereits Kinder von Geburt an die Geschmackseindrücke bevorzugen, die sie über das Nabelschnurblut und Fruchtwasser kennengelernt haben. Auch nach der Geburt setzt sich dieser Prägungsprozess durch die Stillzeiten fort, in denen das Baby die präferierte Nahrung der Mutter quasi ebenfalls „schmeckt“.
Der Mere-Exposure-Effekt
Kinder bevorzugen Speisen, die sie kennen, und lehnen Speisen ab, die ihnen unbekannt sind.
Neophobie ist ein Phänomen, dass als evolutionärer Überlebensmechanismus bekannt ist. Wenn das Kind zu fester Nahrung übergeht, prüfen sie ganz genau, was sie vor sich zu Essen haben, und lehnen neue Speisen erst einmal aus Vorsicht ab. Viele Familien deuten das Verhalten des Kindes falsch und drängen es dazu, ein Nahrungsmittel zu versuchen. Doch das Kind macht nichts falsch, im Gegenteil, es folgt seinem inneren Instinkt. Der Höhepunkt dieses Ausdrucks findet sich zwischen dem 2. und 6. Lebensjahr und nimmt mit zunehmender Reife wieder ab. Man könnte es als „Angst vor neuen Lebensmitteln“ bezeichnen und sollte nur feinfühlig durch die Eltern begleitet werden.
- Kinder erkennen ein neues Lebensmittel.
- Sie prüfen es am Aussehen und akzeptieren es oder nicht.
- Hat es die Prüfung bestanden, beurteilen Kinder den Geschmack.
- negatives oder positives Geschmackserlebnis
- Abbildung einer Erfahrung zum Essen – mag ich oder mag ich nicht
Kinder entwickeln so bestimmte Vorlieben und verschiedene Abneigungen. Einige Studien haben gezeigt, dass ein einmal abgelehntes Nahrungsmittel bis zu achtmal wieder angeboten werden muss, bevor das Kind sich dazu entscheidet, es wieder zu versuchen. Dabei sollte wenig Druck herrschen. Kinder akzeptieren neue Lebensmittel eher von den Eltern, wenn die Atmosphäre gelassen ist.
Tipp: Verwandeln Sie neue Gerichte in spielerische Schönheit. Das heißt nicht, dass das Essen zum Spiel wird, sondern dass man Kindern durch das gerade erlernte Wissen den Zugang erleichtert. Vielleicht mit der Möglichkeit, dass ein neues Gericht ihnen nicht so fremd erscheint, indem man nur kleine Portionen anbietet und das neue Gemüse nicht auf dem ganzen Teller verteilt.
Wichtig: Kinder sollten zum Verzehr bestimmter vorgegebener Lebensmittel nicht gezwungen werden. Erzwingt man es doch, verstärkt sich häufig die Abwehrhaltung und somit die Abneigung gegen das präsentierte Nahrungsmittel. Der Mere-Exposure-Effekt kann dazu führen, dass eine Vielfältigkeit in der Nahrungsaufnahme gebremst wird. Das Sicherheitsprinzip, das hinter ihm liegt und das Kind vor unbekannten Speisen und potenziellen Gefahren der Natur schützen soll, trägt im Umkehrschluss dazu bei, dass der Organismus unter Umständen nicht mit ausreichend Nährstoffen versorgt wird. Eine Bandbreite an Nahrungsmitteln sollte demnach stets bereitgestellt werden, sodass eine ausgewogene Ernährung gewährleistet ist.
Spezifisch sensorische Sättigung
Während der eben erwähnte Mere-Exposure-Effekt die Geschmacksentwicklung durch eine Vorliebe beschreibt, besagt die spezifische sensorische Sättigung, dass bei wiederholtem Verzehr gleicher Lebensmittel eine Abneigung entsteht. Sprich, wer jeden Tag dieselben Speisen isst, hat irgendwann keine Lust mehr, davon zu essen. Zwar mag man meinen, dass Kinder jeden Tag zu Pommes und Pizza greifen würden, doch zeigen einige Untersuchungen, dass sich beide im Gleichgewicht halten. Dennoch sollten Kinder durch ein verantwortungsvolles Essen begleitet werden. Zwar kann man davon ausgehen, dass Kinder nach einem längeren Zeitraum bestimmte „Lieblingsspeisen“ ablehnen, wenn diese wiederholt gegessen werden, doch kann dies mitunter einige Zeit in Anspruch nehmen. Wir würden Ihnen nicht empfehlen, sich auf diesen Mechanismus zu verlassen. (Dennoch ist es wichtig, ihn zu erwähnen.)
In einem klassischen Experiment von Clara Marie Davis, einer US-amerikanischen Kinderärztin, wurde Folgendes untersucht: Setzte man Kinder vor Schalen mit verschiedenen Nahrungsmitteln, zeigte sich, dass sie tatsächlich tagelang dieselben Speisen zu sich nahmen. Über einen längeren Zeitraum (ca. einen Monat) wurden jedoch Speisen wie Wurst, Gemüse und Nudeln ausgeglichen ausgewählt.
Der Idealzustand der Ernährung: Essen, wenn man Hunger hat
Innenreiz Hunger/Außenreiz Hunger
Der Säugling schreit, wenn er Hunger hat. Seine Mutter kommt, deutet die Signale ihres Babys und füllt den Magen ihres Kindes. Im ersten Lebensjahr wird kein Säugling aus Langeweile heraus etwas essen oder aufgrund eines „Heißhungers“ in der Nacht. Physiologisch gesehen, beginnt das Essen mit dem Hunger und endet mit der Sättigung. Hat der Säugling Hunger, hört er erst auf zu trinken, wenn er satt ist. Doch mit zunehmendem Alter werden die inneren Signale des Körpers (Jetzt habe ich Hunger. Jetzt bin ich satt.) zunehmend durch äußere Reize beeinflusst.
Innere Signale sind z. B.
- Füllungszustand des Magens,
- Nährstoffe im Blut,
- Hormone wie Leptin, Insulin, Ghrelin.
Äußere Signale sind z. B.:
- Um 9 Uhr wird immer gefrühstückt,
- um 12 Uhr wird immer zu Mittag gegessen,
- ein reduziertes Essensangebot beim Italiener,
- du bist erst satt (bzw. fertig mit dem Essen), wenn der Teller leer gegessen ist.
Der gut gemeinte Satz „Wir sind erst fertig, wenn der Teller leer ist.“ war lange Zeit prägend für das Essverhalten am Familientisch. Heute weiß man, dass solche Angewohnheiten das Gefühl zum Essen von innen nach außen lenken. Das Gefühl, satt zu sein (Sättigungsgefühl) und auf sein Hungergefühl zu hören, wird überschattet durch die Portionsgröße auf dem Teller (äußere Signale). So gewöhnt man sich an, nicht auf sein Sättigungsgefühl zu achten, sondern auf die Menge der verfügbaren auf dem Teller servierten Lebensmittel. Das Primärbedürfnis nach Hunger, Durst und Sättigung wird abgelöst durch die ständige Verfügbarkeit von Nahrung. Hunger, Durst und Sättigung werden allmählich ebenfalls zu Sekundärbedürfnissen, welche über die Umwelt (soziokultureller Lernprozess) erworben werden. Dabei treten, wie bereits erwähnt, die Innenreize zunehmend in den Hintergrund.
Essen, wenn man hungrig ist, wird vom Essen zu festgelegten Mahlzeiten abgelöst.
Die Verzehrmenge ist nicht mehr abhängig von Hunger, Durst und Sättigung, sondern von der Verfügbarkeit und Portions- oder Verpackungsgröße eines Lebensmittels. Natürlich war es, Nahrung aufzunehmen und in einer Balance zwischen Kalorienaufnahme und Energieverbrauch einzupendeln. Die ständige Verfügbarkeit und größere Portionen, Geschmacksverstärker und Gewürze verleiten dazu, Essen als „Zeitvertreib“ kennenzulernen: Maxi-Portionen und die Gefahren von Hamburgern und Softdrinks. Snacks und Süßigkeiten haben eine sehr langsame Sättigung (aufgrund hoher Energiedichte, kleines Volumen, hohe Anzahl an Kalorien), die unsere Sättigungsmechanismen im Gehirn überlisten.
Dann beginnt das Kind, nicht mehr dann zu essen, wenn es Hunger hat, sondern richtet sich beispielsweise nach den Essenszeiten der Eltern oder der Verfügbarkeit und Menge auf dem Teller. Die von außen auferlegten Reize überlagern dann das eigene Hungergefühl. Wir können dann essen, ohne tatsächlich Hunger zu haben, aus reinem Vergnügen.
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Die Essensmenge wird nicht nach dem Hunger ausgerichtet, sondern es wird gegessen, was auf den Tisch kommt.
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Statt die Portionen dem Hunger anzupassen, passen wir den Hunger den Portionen an.
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Zusammengefasst lässt sich sagen: Wir lösen das Essverhalten von innen nach außen ab.
Dipl.-Ernährungswissenschaftlerin | Zertifizierte Ernährungsberaterin
Was können Eltern tun, um Übergewicht vorzubeugen?
Eltern sollten von Anfang an dem natürlichen Hunger- und Sättigungsgefühl ihres Kindes vertrauen und das Kind nie zum Essen und schon gar nicht zum Aufessen zwingen. Wichtig sind natürlich ein entsprechendes Angebot einer ausgewogenen ‚gesunden‘ Ernährung und ein gutes Vorbild durch das Verhalten der Eltern. Ein guter Anhaltspunkt dabei ist die klassische Ernährungspyramide (aid).
Auch sollte im ‚Zeitalter‘ der XL-Portionen und XXL-Menüs immer auf eine altersgerechte Portion geachtet werden. Gleichzeitig bewegen sich Kinder heutzutage zu wenig. Auch bei einer ausreichenden und regelmäßigen Bewegung im Alltag sollten die Eltern ein gutes Vorbild sein.
Bei schon angelerntem Fehlverhalten wie zu süß, zwischendurch und zu schnell essen sollten Eltern versuchen, eine Umgewöhnung des Verhaltens zu erreichen.
Es gibt gute Gründe, den überflüssigen Pfunden bei Kindern so früh wie möglich entgegenzuwirken. Eine Anamnese und Analyse des Essverhaltens und eine individuelle Ernährungsberatung können dabei helfen, wenn sich Eltern überfordert fühlen.
Denkanstoß:
Was Eltern lange Zeit getan haben, um den Hunger der Kinder zu stillen, ist nicht etwa, ihre Kinder entscheiden zu lassen, wann ihr Hunger endet, sondern für sie mitzubestimmen, wann sie laut unserer Vorstellung satt zu sein haben. Dies ist eine ungünstige Strategie, deshalb ein Denkanstoß. Heute befinden wir uns in einer Zeit der Überproduktion, Massentierhaltung und des Überkonsums – seinem Kind zu zeigen, dass es eher auf sein Körperempfinden hören darf, als auf das Angebot unserer Konsumgesellschaft, sollte unterstützt und geformt werden, anstatt überschattet mit einer gut gemeinten, doch leider missgeleiteten Ernährungserziehung: Ist es notwendig, seinem Kind den Teller aufessen zu lassen, obwohl es keinen Hunger mehr hat?
Unser Steuerungszentrum für Hunger und Sättigung befindet sich im Gehirn: Hypothalamus. Dieser empfängt verschiedene Signale, unter anderem aus dem Magen-Darm-Trakt. Diese Signale wandelt er um und färbt unser Verhalten ein, wenn er z. B. meldet: Ich melde Hunger (geringe Verfügbarkeit an Nährstoffen)
Heute weiß man, dass jedoch nicht nur der Hypothalamus bei der Nahrungsaufnahme Signale meldet. Auch das limbische System, welches hauptsächlich für unsere Emotionen zuständig ist, bringt seine Vorlieben und Reize mit ein. Genau aus diesem Grund können wir auch manchmal der Vorstellung einer verführerischen Versuchung nicht „widerstehen“, obwohl wir keinen Hunger haben. Wir erinnern uns an den Geschmack, das Gefühl und die Emotion, die beim letzten süßen Kuchen gespeichert wurde.
Quelle: https://www.akademie-sport-gesundheit.de/magazin/warum-wir-essen-was-wir-essen.html
Die Prägung des persönlichen Geschmacks basiert auf der Auswahl des Angebots
Wenn Lisa (5) vom Kindergarten heimkommt, stehen – anders als bei ihrer Freundin Emma – keine Süßigkeiten und zuckrige Limo in unmittelbarer Nähe. Die Küche gibt verschiedene Obstkörbe, Wasser und Teekannen her, nicht mehr und nicht weniger. Nach dem Mittagessen oder auch beim Spielen am Nachmittag überkommt Lisa, ganz natürlich, ein kleines Hungergefühl. Am liebsten greift sie dann zu einem kleinen Apfel, den ihre Mutter ihr liebevoll in kleine Schnitze schneidet. Für Lisa ist dies mittlerweile eine genussvolle Freude, schließlich kennt sie bereits vier verschiedene Apfelsorten, welche sie gemeinsam mit ihren Eltern beim regionalen Bauer sonntags in Verbindung mit einem Spaziergang frisch holen.
Sicherlich kennen Sie die Faustregel: Kaufe keine Süßigkeiten – denn was nicht in der Küche zu finden ist, ist auch nicht verfügbar. Dem Verlangen nach dem Griff zum Schokoriegel hat man so ganz automatisch Einhalt geboten. Denn auch hier gilt die Regel: Der persönliche Geschmack wird geprägt von der Verfügbarkeit des vorhandenen Angebotes. Sprich: Wenn täglich Gemüse auf dem Speiseplan steht, ist es sehr wahrscheinlich, dass sich der Geschmack Ihres Kindes dahin entwickelt, Karotten oder Rosenkohl nicht zu verschmähen, sondern zu genießen. Dies klappt nicht immer und sollte auch nicht erzwungen werden, doch wir dürfen diese Regel verinnerlichen und bei den angestrebten Essgewohnheiten berücksichtigen. Schließlich sind wir als Eltern das größte & prägendste Vorbild – auch in diesem Feld.
Ernährungsgewohnheiten lassen sich nicht sofort ändern
Eine bedürfnisorientierte und gesunde Ernährung erfordert Feingefühl und ein langfristiges Denken. Der sofortige Wille/die sofortige Willensumsetzung „Ab jetzt soll mein Kind sein Gemüse aufessen.“ ist selten zielführend, da sie – sowohl für Sie als auch für Ihr Kind – Druck und Stress aufbaut. Denn auch eingefahrene Ernährungsgewohnheiten lassen sich verändern, jedoch braucht dies Zeit.
Möchte man Ernährungsgewohnheiten ändern, bedarf es:
A) genügend Zeit (keines kurzfristigen Druckes),
B) eines veränderten Angebotes an Nahrungsmitteln,
C) neuer Gewohnheiten,
D) positiver Gefühle (keines Zwanges).
Vorlieben und Abneigungen in der Ernährung können individuell von Kind zu Kind unterschiedlich sein, doch viele sind „familiengemacht“. Die Prägung des Essverhaltens in der Kindheit zeigen sich auch im weiteren Lebensverlauf als besonders stabil. Denn Kinder bleiben den Ernährungsgewohnheiten ihrer Eltern bis zur letztendlichen Selbstständigkeit untergeordnet. Bis dahin sind auch ihre Vorlieben und Abneigungen zu großen Teilen geformt. Deshalb tragen Eltern einen Teil der Verantwortung für das Essverhalten ihres Kindes. Wir werden gemeinsam einen Rahmen um die Verantwortungsbereiche legen, die aus den in uns verankerten Antrieben entstehen. Denn die meisten Bereiche, die auf Kinder einwirken, während sie Geschmacksvorlieben entwickeln und Ernährungsgewohnheiten abbilden, verbergen sich hinter den Mechanismen unserer Psyche.
Das Essen mit dem Kind ist begleitet von Lernprozessen, Gefühlen, Emotionen oder auch ob die Eltern etwas mögen oder nicht, ob sie manche Speisen bevorzugen und andere ablehnen. Doch auch gesunde Vorlieben können begleitet werden.
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Zertifizierte Ernährungsberaterin