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3 | Kontinent der Bedürfnisse

3.2 Phasen und Entwicklung der Bindung

Lesezeit: ca. 7 Minuten
Überblick
Bindungsphasen und Bindungsentwicklung

Umwelteinflüsse wie das Familienleben oder das Zusammenspiel zwischen Eltern und Kind formen die Entwicklung des Kindes mit. So sind es nicht die „nur“ die Gene, die unser Verhalten ausbilden. Einige Untersuchungen zeigen, dass eine anregende emotionale, spielerische, und aufgeschlossen liebevolle Umgebung letzten Endes darüber mitentscheiden wird, wie sich die Strukturen des kindlichen Gehirns miteinander vernetzen. So gesehen formt eine anregende sowie feinfühlige Umwelt das Gehirn eines Kindes auf eine andere Weise als eine angstvolle, anregungsarme oder vernachlässigende Umwelt. Die Stimulation der Eltern wirkt sich auf viele Hirnbereiche aus, die für Gefühlssteuerung, Problemlösung und Sinneswahrnehmung zuständig sind. Vieles, was ein Kind mit seinen Eltern erlebt, bewirkt Vernetzungen zwischen den Gehirnzellen seines Großhirns. Die ersten Erfahrungen, vor allem in Hinsicht auf die Erfüllung von Bedürfnissen und auf Annäherungsversuche, hinterlassen tiefe Spuren im frühkindlichen Gehirn und beeinflussen seine Funktion. Genau deshalb ist es wichtig, dass Eltern mit ihren Kindern:

Mit zunehmendem Alter wird das Verhalten Ihres Kindes vielfältiger, doch der Wunsch nach einer sicheren Bindung wächst mit. In jedem dieser Phasen steckt der Wunsch nach Zuneigung, der sich in unterschiedlicher Weise äußert. Anfangs noch der strikte Wunsch nach Erfüllung kindlicher Bedürfnisse, wird sich dieser nach und nach in der Vielfalt täglicher „Verhandlungen“, wie sie mit Kleinkindern üblich sind, einspielen. Aufgrund dieser Reaktionen, die Eltern ihren Kindern schenken, knüpfen sich die ersten wohltuenden und sicheren Bindungserfahrungen an. Diese befähigen im späteren Leben:

  1. dass mit Stress besser umgegangen werden kann,
  2. sinnerfüllende Beziehungen geführt werden können,
  3. ein stärkeres Mitgefühl entwickelt wird,
  4. tiefere Ruhe empfunden werden kann
  5. sowie ein besserer Umgang mit der eigenen Wut gefunden wird.

Neurobiologische Grundlagen

Das kindliche Gehirn befindet sich nach der Geburt noch im Wachstum. Dieser Reifungsprozess folgt nicht nur einem strikten Bauplan, sondern sammelt auch wichtige Lebenserfahrungen, die die Entwicklung mit begleiten. Erfahrungen, die Kinder sammeln, haben in jungen Jahren besonderen Einfluss auf die Ansichten und Einstellungen, die sie auch in Bezug auf ihre Umwelt entwickeln werden. Man könnte sagen, dass durch feinfühlige Reaktionen, einen liebevollen Umgang sowie die Bereitschaft, sich emotional auf sein Kind einzustellen, die beste Ausgangslage für ein Kind in Bezug auf die Bindung geschaffen wird.

Fakt aus der forschung

Eltern stimulieren durch feinfühlige Interaktionen die Sinnes- und Bewegungzentren eines Kindes. Durch Körpernähe, Körperwärme, Tragen und die Kraft des Blickes wird auch das limbische System stimuliert, das für die Gefühlswelt mitentscheidend ist. Unterschungen haben gezeigt, dass ein Mangel an Umweltreizen durch Berührung, Bewegung und fehlende Emotionsbereitschaft die funktionelle Reifung des präfrontalen Cortex beeinflusst sowie das limbische System, das bei Lernprozessen und Gedächtnisbildung, aber auch bei der Wahrnehmung und Entstehung von gefühlsbetonten Verhaltensweisen ist, in negativer Weise beeinflusst.

Bindungstypen und Bindungsverhalten

Was wir bisher erfahren haben, lässt uns ein erstes tieferes Verständnis für die Hintergründe einer Bindung erkennen. Je nachdem, welche Bindungserfahrungen ein Kind macht, stellen sich verschiedene Bindungssicherheiten ein, die aufgrund von Beobachtungen in der sogenannten „fremden Situation“ von Mary Ainsworth klassifiziert wurden.

Wichtig:
Eine generelle Verfügbarkeit und Verlässlichkeit ist das Zauberrezept für gesunde Bindungserfahrungen. Dabei dürfen wir direkte Liebe und Zuneigung schenken. Diese sind die Grundzutaten für erfolgreiche Bindungen. Dabei sollen Eltern wissen, dass sich der Bindungswunsch des Kindes nicht an einem Tag entscheidet, wenn Sie einmal das Gefühl haben, nicht mit allen Kräften „anwesend“ zu sein. Es ist eine kumulative Erfahrung. Keiner kann uns davor bewahren, an manchen Tagen ermüdet oder gestresst zu sein. Das Feingefühl, das als „Vorgehensweise“ den Weg in die Pädagogik fand, reagiert, sucht aber keine Perfektion in Ihnen. Es zeigt allerdings, dass Sie lernen, die Signale Ihres Kindes zu lesen und angemessen auf sie zu reagieren. Dafür legen wir die Grundpfeiler in allen weiteren Bindungsländern.

Bindungstypen Bindungsverhalten
Sichere Bindung
Kinder können auf ihre Eltern in belastenden Situationen zurückgreifen, das heißt, sie haben erfahren, dass ihre Bedürfnisse zuverlässig erfüllt wurden und ihre Bezugspersonen feinfühlig, offen und liebevoll auf sie reagieren. Eltern "lesen" ihre Kinder, was nicht heißt, dass sie ihre Kinder einer peniblen Übervorsorge aussetzen. Geprägt wird dieses Verhalten durch bedingungslose Liebe, Zuversicht, Vertrauen und Sicherheitsgefühle. Sicher gebundene Kinder zeigen Freude am Entdecken, kommen jedoch bei Unsicherheitsgefühlen immer wieder zu den Eltern zurück – um Sicherheit zu tanken und danach weiterzuspielen. Sie bekommen von ihren Eltern eine positive Rückmeldung auf ihre Bedürfnisse, Ängste und Sorgen.
Unsicher-vermeidende Bindung
Diese Kinder haben nicht immer erfahren, dass ihre Bedürfnisse vollständig erfüllt werden. Sie lernen, auf sich alleine gestellt zu sein, und zeigen beim Weggang ihrer Eltern kaum Kummer. Sie empfanden oft Ablehnung und haben wohl öfter auf Zuneigung und Nähe verzichten müssen.
Unsicher-ambivalente Bindung
Erleben Kinder ein schwer vorhersehbares Verhalten vonseiten ihrer Eltern, spüren Kinder auch Widersprüchlichkeit in ihrem eigenen Verhalten. Auf der einen Seite erleben sie liebevolle Begleitung, Liebe und Zuneigung, auf der anderen Seite Ablehnung, Ignoranz und Missachtung ihrer Bedürfnisse. Ihr Sicherheitsgefühl ist immer auf die Probe gestellt. Da sie sich wenig auf eine Seite einstellen können, bleiben sie stets hin- und hergerissen.
Desorganisiert-desorientiert gebundene Kinder
Auch diese Kinder zeigen ein widersprüchliches Verhalten aufgrund der schwer vorherzusagenden Rolle ihrer Eltern. So gibt es für diese Kinder Phasen der Zuwendung und Phasen einer Ablehnung. Auch Kinder, die im Extremfall Opfer von körperlicher Gewalt wurden, in einen aggressiven Umgang hineinwachsen oder Vernachlässigung erleben, finden sich hier wieder. Die Bezugsperson vermittelt Nähe und Sicherheit, aber auch Gefahr.
Auf den Punkt gebracht

Dies sind die Ergebnisse der Bindungsforschung und fast jedes Kind lässt sich in eine dieser Gruppen in einem sogenannten Fremde-Situations-Test einteilen. So viele Ratschläge es auch auf der Seite von 4kids gibt, stellt die Bindung, die Liebe und Zuneigung zueinander, eines der unausweichlich wichtigsten Felder der Erziehung dar – aus der Bindung wächst Selbstsicherheit, aus der Selbstsicherheit eine starke Persönlichkeit.

Die folgenden Altersangaben stellen grobe Richtwerte dar. Individuelle Entwicklungsverläufe können variieren.

Nach der Geburt bis 6 Wochen – die erste Anhänglichkeit

In den ersten beiden Lebensmonaten zeigt der Säugling durch meist noch unspezifische Reaktionen (angeborene Reflexe/Verhaltensweisen), dass erste Kontaktmöglichkeiten zwar vorhanden sind, sprich der Säugling seinen Eltern anzeigt, wenn ihm etwas fehlt, er aber trotzdem noch auf die richtige Interpretation durch die Eltern angewiesen ist: Was fehlt meinem Baby? Die erste Phase wird Vorbindungsphase genannt und hat auch genau diesen Hintergrund. Ihr Kind wird in dieser Zeit durch seine angeborenen Verhaltensweisen den Kontakt zu seinen Eltern aufbauen:

Durch die Antworten auf seine Bedürfnisse wie Stillen, Wickeln, Säubern und Kuscheln bewegt sich die Vorbindungsphase dahin, dass sie stetige Erfüllung ihrer Bedürfnisse sucht. In dieser Phase erkennt das Baby seine Mutter an Geruch und Stimme. Doch der Säugling differenziert noch nicht so stark zwischen vertrauten und unbekannten Menschen, wie er dies in den nächsten Lebensmonaten tun wird.

2. Monat bis 6./8. Monat – die Bindung beginnt sich zu verfestigen

Das Baby zeigt mehr Orientierung und sendet Signale, die sich auf eine oder mehrere besondere Person(en) richten, und lernt somit, seine Aufmerksamkeit besser auszurichten. Diese Fähigkeit führt dazu, dass es sich auf eine primäre Bezugsperson einstellen wird. Kinder reagieren in dieser Phase auf verschiedene Dinge:

Dadurch, dass in dieser Phase zwischen nahen und fremden Personen unterschieden werden kann, richtet sich das Baby in diesem Alter mit seinem Verhalten eher an eine kleine Auswahl von Personen – obwohl Hochnehmen und Trösten, auch mal durch „fremde“ Personen, gelingen kann. In dieser Zeit verstärkt sich das Bindungsverhalten weiter und das Kind sucht einen intensiven Kontakt zu seinen Liebsten. Dabei entstehen wichtige Bezugspersonen für Ihr Kind und es wird in dieser Phase eher zu seinen Eltern als zu anderen Personen wollen. Ihr Baby lernt, dass es in Ihnen etwas auslösen kann, beispielsweise beim Spiel oder durch gemeinsames Anlächeln. Dadurch, dass Sie aufeinander reagieren–, fördert das ein Gefühl von Selbstwirksamkeit. In dieser Zeit kann auch eine Art „Fremdeln“ entstehen, da sich Ihr Kind voll und ganz auf Sie einstellt, Ihre Sicherheit und Geborgenheit sucht und erst aus dieser heraus sich seiner Außenwelt zuwendet. Das zeigt, dass Ihr Kind bereits zwischen der Bindung zu Ihnen und anderen unterscheidet.

6./8. Monat bis 1/2–2 Jahre – die Bindung wird Voraussetzung

Die Stärke der Bindung ist bereits deutlich erkennbar und zeigt sich oft in einer Art Trennungsangst, die als natürliche Schutzfunktion angesehen werden kann. Bei den Eltern ist das Kind sicher und diesen Zufluchtsort sucht es immer dann auf, wenn es versucht, sich seiner Umwelt zu öffnen. In diesem Zeitraum bewegt sich das Kind zwischen vielen neuen „Errungenschaften“ hin und her. Es lernt seine Umgebung besser kennen und wird neugieriger. Im Kontinent ‚Neugierde und Bindung‘ werden wir erfahren, welches Zusammenspiel Neugierde und Bindung eingehen, um aus der Sicherheit heraus weitere Erkundungen anzustellen. Auch Bewegung und Sprache finden sich immer am Ende dieser Phase besser ein, was Kinder natürlich in ihrem Verhalten fördert. Ihr Kind lernt in dieser Zeit zu krabbeln und kann sich in absehbarer Zeit immer besser mit Ihnen austauschen, das heißt, die Vielfalt, auf die Ihre Bindung aufbaut, erweitert sich im kommunikativen Austausch. Auch Protest kann in dieser Zeit herrschen, wenn Sie Ihr Kind alleine lassen wollen. Bei Ihrer Abwesenheit zeigt sich, wie wichtig Sie Ihrem Kind sind, denn in Ihrer Nähe fühlt es sich wohl und weiß über Ihre Zuneigung Bescheid. Sie werden zum sicheren Hafen, zu dem es immer wieder zurückkommen kann. Über die Trennungsangst und den Weg, mit ihr umzugehen, sprechen wir im Land ‚Trennungsangst‘.

Ab 1 1/2 Jahren bis 2 Jahren – aus Bindung wird Familie

Ihr Kind kann mittlerweile vielfältiger kommunizieren und die ersten Verhandlungen stehen an der Tagesordnung. Der eigene freie Wille Ihres Kindes kommt zum Ausdruck. Auch der soziale Radius wird langsam mitwachsen und so auch die Möglichkeit, weitere „Beziehungen“ einzugehen. Aus der Bindung wird Familie.

Fazit

Umwelteinflüsse wie das Familienleben oder das Zusammenspiel zwischen Eltern und Kind formen die Entwicklung des Kindes mit. So sind es nicht die „nur“ die Gene, die unser Verhalten ausbilden. Einige Untersuchungen zeigen, dass eine anregende emotionale, spielerische, und aufgeschlossen liebevolle Umgebung letzten Endes darüber mitentscheiden wird, wie sich die Strukturen des kindlichen Gehirns miteinander vernetzen. So gesehen formt eine anregende sowie feinfühlige Umwelt das Gehirn eines Kindes auf eine andere Weise als eine angstvolle, anregungsarme oder vernachlässigende Umwelt.

Quellen / Literatur

Ahnert, L. 2010: Wie viel Mutter braucht ein Kind? Bindung – Bildung – Betreuung: öffentlich und privat, Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag.

Bauer, J. (2005). Warum ich fühle, was du fühlst: Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneurone. Hamburg: Hoffmann und Campe.

Becker-Stoll, F., Niesel R., Wertfein, M. (2014). Handbuch Kinderkrippe. So gelingt Qualität in der Tagesbetreuung. Freiburg im Breisgau: Herder..

Grossmann, K. & Grossmann K. E.(2003). Bindung und menschliche Entwicklung. Stuttgart: Klett Cotta.

Grossmann, K. & Grossmann K. E.(2004). Bindungen – das Gefüge psychischer Sicherheit. Stuttgart: Klett Cotta.

Haug-Schnabel, G. & Bensel, J. (2006). Kinder unter 3 – Bildung, Erziehung und Betreuung von Kleinstkindern. Kindergarten heute spezial, Freiburg im Breisgau: Herder.

Sunderland, M. (2006). Die neue Elternschule. München: Dorling Kindersley.

Sonnleitner
Susanne Sonnleitner
Familylab-Seminarleiterin,
Naturpädagogin,
Familienpflegerin