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5 | Kontinent der Kinder

5.1 Empathie – das Einfühlungsvermögen

Lesezeit: ca. 11 Minuten
Überblick
„Ich fühle, was du fühlst.“
Die Perspektive, welche ein Erwachsener in Bezug auf seine Mitmenschen einnehmen kann, unterscheidet sich grundlegend von der eines Kindes. Kinder machen sich erst ab einem gewissen Alter Gedanken darüber, was ihre Mitmenschen für Erwartungen an sie haben, was sie fühlen oder welche Ziele sie verfolgen. Elterliche Versuche, ihren Kindern Wege zum Bilden von Freundschaften, Mitgefühl und Verständnis für eine andere Person zu vermitteln, hängt mitunter von deren geistiger Entwicklungsreife ab. Während im „Land der emotionalen Intelligenz“ weitaus mehr über die eigenen Emotionen sowie die Emotionsentwicklung zu finden ist, steht im Mittelpunkt der Empathie die Betrachtung der Emotionen und des Mitgefühls seines Gegenübers. Kinder, die in ihrer Entwicklung noch nicht an diesem Punkt angelangt sind, zeigen oft ein „rücksichtsloses“ Verhalten. So werden kleine Reibereien von Kindern oft auf Ungehorsamsein, schlechte Manieren, rücksichtsloses und aggressives Verhalten aufseiten des Kindes zurückgeführt, wo es doch seiner Entwicklung entsprechend, noch keine tatsächliche Gewissensentwicklung oder Mitgefühl entwickelt hat. Kinder handeln zuerst aus der Ego-Perspektive, bevor sie sich einer gemeinschaftlichen Perspektive widmen. Zwar verhalten sie sich durchaus kooperativ und versuchen sich in der Gemeinschaft einzufinden, doch ihre kognitive Reife befähigt sie erst mit zunehmendem Alter dazu, sich aus der eigenen Perspektive heraus zu bewegen – hinein in die Welt des Einfühlungsvermögens und Mitgefühls.
Empathie – eine kurze Erklärung:
Unser Einfühlungsvermögen weist viele Facetten auf. Im Kern bedeutet Empathie, dass wir uns in andere Menschen gedanklich und emotional hineinversetzen können, um nachvollziehen, was in ihnen vorgeht. Eines der bekanntesten Modelle ist der „Interpersonal Reactivity Index“ von Davis:
  • Perspektivübernahme: die Fähigkeit, die Sichtweisen anderer einzunehmen.

  • Mitgefühl: die Tendenz, empathische Gefühle für andere zu hegen, etwa Wärme und Freude für andere oder Sorge um sie, vor allem, wenn diese negative Erfahrungen machen.

  • Persönliche Betroffenheit: die Tendenz, sich selbst unwohl, ängstlich oder gestresst zu fühlen, wenn andere negative Erfahrungen machen.

  • Fantasie-Empathie: die Tendenz, sich stark mit fiktionalen Charakteren zu identifizieren, etwa in Büchern, Filmen oder Spielen.

Um Einfühlung auszubilden, zu erfahren und zu begleiten, ist die Bindungsbeziehung zwischen den Eltern und ihrem Kind die wichtigste Voraussetzung. Aus dem Urvertrauen des Kindes und der Erfüllung seines Wunsches nach Nähe, entwickelt sich Selbstvertrauen. Nur durch die Bindung zu den Eltern, gelingt es dem Kind, auch positive Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen. Zudem spielt das Verhalten der Eltern aufgrund der Nachahmungsfreude des Kindes eine besondere Rolle. Kinder lernen in jungen Jahren vielmehr durch Beobachtungen, auch das alltägliche Vorleben bestimmter Situationen von Vorbildern, als von moralischen Lehren und Regeln im Umgang. Sie bemerken in den wiederkehrenden Handlungen ihrer Eltern, welches Verhalten in welcher Situation angebracht ist.

„Nachdem das Glas auf den Boden gefallen ist, schreit Mama meine Schwester gar nicht an. Sie zeigt Mitgefühl.“

Zeigen Eltern Mitgefühl und Hilfsbereitschaft, lernen Kinder hierbei, dass ihre Gefühle auch in schwierigen Situationen nicht mit Angst, Zorn, Wut oder Rücksichtslosigkeit beantwortet werden müssen. In der Entwicklungspsychologie betrachtet man allgemeine Alltagserlebnisse als weitaus intensivere Lernräume, als durch die „bewusste Erziehung“ vermittelt werden kann. Was Kinder tagtäglich erleben, prägt und formt ihre Ansichten über das Zusammenleben deutlicher als der moralische Zeigefinger bei unangebrachtem Verhalten.

Umwelterfahrungen

Studien bestätigen, dass bis zu Beginn des dritten Lebensjahres das Mitgefühl und Einfühlungsvermögen deutlich zunehmen. Dennoch gilt es, Folgendes zu unterscheiden: Werte wie Fairness oder Höflichkeit oder die Fähigkeit, sich zurückzunehmen, sind weitestgehend von Umwelterfahrungen abhängig und bis diese verstanden und verinnerlicht werden, braucht es Zeit und häufig auch Reibung. Viele Eltern kennen das Phänomen: Sie haben in der Sandkiste hundertmal das Bitte-Danke-Spiel gespielt und Sandförmchen unermüdlich hin- und hergereicht, in der Hoffnung, ihr Kind würde sich daraufhin zu einer höflichen Person entwickeln. Bei der nächsten Gelegenheit jedoch reißt ihr Zweijähriger wie ein kleiner Spielplatz-Rambo einem anderen Kind die Schaufel aus der Hand. Die Eltern möchten im Boden versinken und fragen sich: Was haben wir falsch gemacht? Einem Zweijährigen kann man solches Verhalten noch nicht verübeln, er wird sich weiterentwickeln und sich in einem Jahr in einer solchen Situation vermutlich schon anders verhalten. Dies liegt darin begründet, dass Kinder in den ersten zwei bis drei Lebensjahren noch ganz und gar in der Vorstellung „richtig ist, was für mich gut ist“, leben. Erst allmählich gelingt es ihnen, ihre Wünsche mit denen anderer abzustimmen.

Jedes Kind entwickelt sich in seinem Tempo
Entwicklungsphasen wie das Wachsen von Mitgefühl sowie die Fähigkeit, die Perspektive seines Gegenübers einzunehmen, verlaufen je nach Kind in unterschiedlichem Tempo. Sie aufzuzeigen, hat einen besonderen Grund. Hinsichtlich der Gehirnentwicklung, welche maßgeblich am Entwicklungsprozess beteiligt ist, gibt es wichtige Meilensteine, die ein Kind erreichen wird. Kinder wollen keinen falschen Erwartungen ausgesetzt sein, während sie noch nicht die geistige Reife erreicht haben, mit der sie ausdrücken könnten, was wir voraussetzen. Sie suchen ebenso Verständnis für die noch fehlende Erfahrung im Hinblick auf Einfühlungsvermögen, Freundschaft und Gewissenhaftigkeit.

Angeborene Bereitschaften

Kinder kommen bereits mit der angeborenen Bereitschaft für ein liebevolles Miteinander auf die Welt. Von Geburt an sind sie soziale Wesen und daher für emotionale Reize und Reaktionen aus ihrer Umwelt empfänglich. Mit sechs Wochen beginnen sie, ihre Eltern mit einem Lächeln zum Staunen zu bringen (Engelslächeln). In den darauffolgenden Lebensmonaten bauen sie vielfältig Kontakt zu Erwachsenen auf, indem sie Emotionen durch Lächeln (soziales Lachen ab dem zweiten Monat), Berührungen, Blicke und die ersten Lallgeräusche zeigen. Zwischen neun und zwölf Monaten interagieren Säuglinge schließlich nicht mehr nur mit einer Person oder einem Gegenstand, sondern erweitern ihre Fähigkeit, sich auf mehrere Dinge zu beziehen, wenn auch nur von kurzer Dauer (kurze Aufmerksamkeitsspanne). Mitunter trösten viele Kinder bereits ihre Spielkameraden im Alter von zwei Jahren und zeigen somit erste Anzeichen von Mitgefühl im Austausch mit Gleichaltrigen. Dennoch zeigen sich manche Kinder mitfühlender als andere. Woran liegt das? Ist dies ein angeborenes Verhalten oder durch die Erziehung beeinflussbar? Die Frage, ob Mitgefühl durch Anlagen (Gene) oder die Umwelt bestimmt wird, wird in den meisten Fällen kontrovers diskutiert. Dennoch sind die Umwelterfahrungen maßgeblich, weshalb bei dem Persönlichkeitsmerkmal „Empathie“ der genetische Anteil eher gering ausfällt. Eine erste Zwillingsstudie mit Kindern im Alter von 14 Monaten konnte dies bestätigen. Das Ergebnis: Eltern, Erzieher und andere, dem Kind nahestehende Bezugspersonen, können Wesentliches dazu beitragen, die Entwicklung von Empathie zu fördern. Wichtig ist jedoch: Kinder brauchen trotz vieler guter Vorsätze Zeit. Ein zweieinhalbjähriges Kind wird es nicht verstehen, wenn seine Eltern von ihm Folgendes verlangen: „Du musst teilen, sonst spielt niemand mehr mit dir, teilen ist wichtig – dann bekommt man auch etwas zurück.“ Kinder müssen nicht nur begleitet werden, sondern benötigen eine gewisse, geistige Reife, um solche Zusammenhänge nachzuvollziehen.

Theory of Mind (Theorie des Geistes) - Die Gedanken anderer erahnen

Die Tatsache, dass die Entwicklung der „Theory of Mind“ bei Kindern in das Kleinkindalter fällt, steht in enger Verbindung mit der Gehirnentwicklung. Die Fähigkeit, Überzeugungen anderer einzuschätzen, ist eine Funktion, die sich aus dem Zusammenspiel verschiedener, kognitiver Fähigkeiten ergibt – wie dem Gedächtnis, der Aufmerksamkeit, Sprache, Gesichts- und Blickerkennung sowie der Fähigkeit, Kausalzusammenhänge zu begreifen. Eine wichtige Grundlage der „Theory of Mind“ stellt die Sprachentwicklung dar. Schon Kinder im Alter von zwei Jahren benutzen Worte, die Emotionen beschreiben – allerdings meist ihre eigenen. Mit etwa drei Jahren fangen Kinder an, auch kognitive Ausdrücke wie „Ich denke“ zu verwenden. Die Fähigkeit, eigene Gedanken, Wünsche und Absichten zu haben, ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass sich Verständnis für die Überzeugungen anderer herausbilden kann. Kinder entwickeln in der Vorschulzeit die Fähigkeit, sich selbst und anderen mentale Zustände zuzuschreiben. Sie lernen allmählich die Handlungen ihres Gegenübers zu interpretieren und das eigene Handeln hierauf einzustellen. Demnach ist es ein bedeutungsvoller Meilenstein, zu begreifen und zu akzeptieren, dass Menschen unterschiedliche Wünsche, Emotionen, Kenntnisse, Meinungen und Absichten haben, die mit ihren eigenen nicht übereinstimmen müssen. In der Regel beginnen sie erst ab einem Alter von vier Jahren, über solche Unterschiede nachzudenken und zu sprechen. Bis zum sechsten Lebensjahr erreichen sie darin eine zunehmend sichere Handhabung.

Fakt aus der Forschung

Kinder ab einem Alter von sieben Jahren erlernen die Fähigkeit, ihr Einfühlungsvermögen so auszurichten, dass sie eigene Vorstellungen damit durchsetzen können. Die Empathie stellt somit einen wichtigen Entwicklungsschritt dar, denn nur dadurch, dass wir andere in ihren Gefühlsäußerungen anerkennen, eröffnen sich Möglichkeiten des Austauschs auf einer viel höheren Ebene. Die menschliche Bereitschaft, sich aufeinander einzustellen, ist dehnbar. Zwar ist dies von Grund auf eine menschliche Eigenschaft, doch sie ist weitaus formbarer als bislang angenommen.

Studie: Itai Sher University of Minnesota (Proc. Nat. Acad. Sci. USA 111, S. 13307-13312, 2014)

So ist auch die Empathie ein wichtiges Werkzeug kindlicher Entwicklung, denn nur dadurch, dass wir andere in ihren Gefühlsäußerungen anerkennen, eröffnen sich Möglichkeiten des Austauschs auf einer viel höheren Ebene. Die menschliche Bereitschaft sich aufeinander einzustellen, ist dehnbar, zwar von Grund auf eine menschliche Eigenschaft, doch weitaus formbarer als wir meinen. In folgender Auflistung sehen Sie die wichtigsten Meilensteine ihres Kindes, auf dem Weg zum Mitgefühl und Verständnis über die Gedankenwelt eines anderen Menschen. Natürlich finden wir ganz am Ende Wege und Möglichkeiten um gemeinsam zwischen Eltern und Kind diese Phasen zu begleiten.

Entwicklung Bedeutung
Globale Empathie
Im ersten Lebensjahr unterscheiden Kinder noch nicht zwischen sich selbst und anderen Personen. Daher löst die Gefühlslage einer anderen Person durch „Gefühlsansteckung“ dieselbe Reaktion im Kind hervor. Beobachtet das Kind das „Leiden“ eines anderen, werden die dabei gesehenen Gefühle im Bewusstsein des Kindes „gespiegelt“ und selbst wahrgenommen. Deshalb reagieren Kinder oft so, als würde das, was sie sehen, ihnen selbst zustoßen. Weint ein anderes Kind herzzerreißend, weint das eigene Kind mit. Das bedeutet jedoch nicht, dass Kinder in so jungen Jahren bereits den Gefühlszustand einer anderen Person nachempfinden können.
Egozentrische Empathie
Im Alter von zwei bis drei Jahren beginnt die egozentrische Empathie. Etwa zu Beginn des ersten Lebensjahres zeigen Kinder die ersten Ansätze, zunehmend zwischen den eigenen und den Gefühlen anderer zu unterscheiden, was sie jedoch oftmals noch vermischen. Das Einfühlungsvermögen zeigt hier schon erste, uns bekannte Ansätze wie z. B. wenn Kinder Erwachsenen zum Trost ihr Lieblingsspielzeug reichen. Ist das nicht erstaunlich? Sie versuchen sich selbst und ihre Mitmenschen bereits so zu beruhigen, wie sie selbst von ihren Eltern beruhigt werden. Sie folgen ihrer eigenen Perspektive: „Wenn ich verunsichert bin oder weine, möchte ich mein Lieblingsspielzeug, das muss also auch für andere gelten.“
Empathie für die Gefühle anderer
Durch die zunehmende geistige und soziale Reife im Alter von drei Jahren (deren Entwicklung jedoch bis in das vierte und fünfte Lebensjahr hineinreichen wird), lernen Kinder zwischen den eigenen Gefühlen und denen anderer zu unterscheiden. Sie werden sensibler beim Beobachten der Gefühlswelt ihrer Mitmenschen. Dadurch werden sie auch unabhängiger im Umgang mit den eigenen Gefühlen.
Empathie für die allgemeine Lebenssituationen von anderen
Kinder lernen unterschiedliche Menschen kennen, die alle ihre eigenen Lebensgeschichten und Identitäten haben. Sie lernen, dass die Gefühle der anderen kontextabhängig sind und über die jeweilige, einzelne Situation hinausgeht. Diese Entwicklungsstufe ist im späteren Vorschulalter, in der Grundschule und in den weiteren Lebensjahren ein ständiger Begleiter. Ab dann beginnt das Leben als ständiger Lehrmeister uns auf die verschiedensten Erfahrungen vorzubereiten.

Das Verständnis wächst

Zum Ende des zweiten Lebensjahres haben Kinder ein Verständnis für ihr eigenes „Ich“ entwickelt, was eine Voraussetzung dafür ist, das „Ich“ seines Gegenübers zu greifen – eine geistige Reife, die fortan mehr und mehr das kindliche Leben begleitet. Die Bestimmung des eigenen „Ichs“ führt auch dazu, dass Eltern zu Beginn dieser Entwicklung eher die folgenden Sätze zu hören bekommen:

Sich empathisch in andere hineinzufühlen, ist ein Prozess, der sich langsam entwickelt. Für die Entwicklung von Empathie bedeutet das, dass Kindern zu Beginn des vierten Lebensjahres allmählich erklärt werden kann, dass sich die eigenen Gefühle von denen eines anderen Menschen unterscheiden können. Wenn eine Person fröhlich ist, muss jemand anderes das nicht genauso empfinden.

Schema

In Zusammenarbeit mit der Humboldt-Universität Berlin, der Robert Bosch Stiftung und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, wurden 6- bis 14-Jährige Kinder befragt.

Quelle: GEOlino-UNICEF Kinderwertemonitor 2014

„Versetz dich doch mal in die Lage der Anderen“

„Wenn du das andere Kind haust oder schubst, wird es sich wehtun.“ Junge Kinder dürfen durchaus erfahren, wie sich andere Kinder fühlen, brauchen hierfür jedoch kurze und klare Aussagen. „Aua“ und „nein, das tut weh“, verstehen junge Kinder weitaus deutlicher als es ihnen in einer ausführlichen Erklärung vermittelt werden könnte. Wichtig ist, zu erkennen, dass kleine Kinder unter drei Jahren noch kein Verständnis von „recht“ und „unrecht“ haben. Deshalb fehlen ihnen jegliche Schuldgefühle, auch wenn ihre Eltern noch so liebevoll versuchen, diese eindringlich zu vermitteln. Falls ein Kind aggressives Verhalten zeigt, sprich kein Mitgefühl, ist es dennoch notwendig, zu intervenieren, jedoch kurz und deutlich mit „stopp“, „aua“ oder „nein.“ Wichtig ist der Gesichtsausdruck, durch den Kinder durchaus die Gefühlswelt eines anderen erkennen können.

Mit Gegenliebe reagieren - kein Liebesentzug

Wut ist keine Lösung, ebenso wenig wie einem Kind mit Liebesentzug zu drohen. „Wenn du das nochmal machst, hat dich Mama nicht mehr lieb.“ Ein solches Verhalten löst nur Verlustängste aus. Es wird einige Zeit dauern, ehe Eltern mit ihrem Kind über Rücksicht und Höflichkeit ausführlich reden können. Das wiederum heißt nicht, dass sie bis zu diesem Zeitpunkt mit Strafen keine Verhaltensänderung erzielen werden, weil vonseiten des Kindes das Verständnis dafür fehlt. In frühen Entwicklungsphasen sollte nicht mit Grenzen und Regeln hantiert werden, weil dies eine Reife voraussetzen würde, mit der Kinder die Konsequenzen ihres Verhaltens erkennen. Wenn Kinder älter werden, wächst auch die Fähigkeit, sich intensiver über Erlebtes zu unterhalten.

  • „Was würdest du empfinden, wenn dein bester Freund dir dein Lieblingsspielzeug weggenommen hätte?“ Oder: „Wie würdest du dich denn fühlen, wenn du traurig wärst und die anderen Kinder dich einfach nicht beachten würden?“

Diese Erziehungspraktik scheint nach aller Erkenntnis langfristig weit mehr Wirkung zu zeigen als Bestrafen und Schimpfen. Zudem trägt sie stärker dazu bei, dass Werte wie Rücksichtnahme, Mitgefühl oder auch Höflichkeit von Kindern verinnerlicht werden – und nicht nur Druck erzeugt. Wie erfolgreich Eltern damit sind, hängt aber auch von ihrer eigenen Einfühlsamkeit ab. Gelingt es ihnen, solche Fragen und Hinweise dem Alter und der Situation angemessen „rüberzubringen“, ist ihr Handeln wahrscheinlich sehr wirksam. Wer aber einem Dreijährigen während eines Sandkastenstreits schon komplizierte, moralische Sachverhalte erklären will, wird damit scheitern. Auf Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit hinzuweisen, wenn sie geschieht, ist ein Zeichen von Aufmerksamkeit. „Als du dem anderen Kind dein Spielzeug geliehen hast, das war eine schöne Geste.“ „Hast du die Frau gesehen, die uns beim Einkaufen geholfen hat? Das hat mir sehr gefallen.“ So banal dies klingen mag, reflektiert jenes Verhalten, wenn es denn authentisch gemeint ist, die eigenen Ansichten. Kinder können von solchen Benennungen vieles lernen und sehen, dass man auch Kleinigkeiten im Miteinander schätzen kann.

Was empfindet eine andere Person?

Es ist es essenziell, den Austausch mit Gleichaltrigen zu ermöglichen, sodass sie sich im gemeinsamen Spiel die Regeln des Miteinanders aneignen können. Eltern können dies sprachlich und emotional begleiten und werden auf eine Vielzahl von Situationen stoßen, in denen sie erklärend oder fragend zur Seite stehen können: „Was glaubst du, wie sich das andere Kind dabei gefühlt hat, als du ihn nicht hast mitspielen lassen?“ Diese Frage kann bereits von vielen Kindern am Ende des vierten Lebensjahres beantwortet werden.
Kinder lernen ihre eigenen Gefühle denen ihrer Mitmenschen anzupassen. Nicht alles ist in der Gruppe angebracht, nicht alles „darf“ man. Kinder lernen, dass das Ausleben der eigenen Gefühle eben auch andere bewegt. Wer von seinen Eltern erfahren hat, dass seine Gefühle und Gedanken respektiert und geachtet werden, dem wird es leichter fallen, sich gegenüber den Gefühlen anderer Menschen respektvoll zu verhalten.

Fragen, die das Einfühlungsvermögen anleiten und Gefühle in den Vordergrund rücken:

Aussagen, welche die Empathie nicht fördern und die Gefühle missachten:

Viel vorlesen: Mitfiebern, sich gruseln, mitlachen und mitweinen! Kinder, die Bücher vorgelesen bekommen, fühlen sich dabei automatisch in das Denken und die Gefühle anderer Menschen ein und hinterfragen deren Handlungen. Die wunderbaren Geschichten von Astrid Lindgren z. B., bieten neben erstklassiger Unterhaltung viele Ansatzpunkte, um über die Wertmaßstäbe und Bedürfnisse anderer nachzudenken und darüber zu sprechen. Außerdem besteht ein enger Zusammenhang zwischen Sprachkompetenz und Empathie. In einer Vielzahl von Studien konnten positive Bezüge zwischen sprachlichen Fähigkeiten und emotionalen Fertigkeiten nachgewiesen werden.

Fazit

Empathie erlernen ist wie Sprechen lernen. Wir haben von Geburt an die besten Voraussetzungen dafür. Wenn sich jedoch niemand mit einem Kind unterhält, lernt und spricht es kein einziges Wort. Ähnlich verhält es sich mit der Entwicklung des Mitgefühls. Man kann es fördern, den eigenen Gefühlen und Emotionen und denen anderer einen Namen zu geben und somit ein Verständnis formen, dass erst durch die Kommunikation ihren tatsächlichen Ausdruck findet. Überall kann man die Perspektive des anderen einnehmen und Mitgefühl zeigen: unter Gleichaltrigen, bei Auseinandersetzungen mit anderen Kindern oder innerhalb der Familie.

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Sonnleitner
Susanne Sonnleitner
Familylab-Seminarleiterin,
Naturpädagogin,
Familienpflegerin